
Residenz für Digital Dance Creators

Carlo D’Abramo
Carlo ist Tänzer und Content Creator, der seine Kunst und Online-Präsenz nutzt, um die Stimmen der LGBTQIA+-Community zu stärken. Durch seine Performances und Videos setzt er sich dafür ein, Aspekte von Identität und Erfahrung zu normalisieren, die noch viel zu oft missverstanden oder marginalisiert werden. Seine Arbeit beleuchtet die Komplexität queerer Leben – Leben, die von Freude und Schmerz, Liebe und Einsamkeit, Erfolg und Diskriminierung, familiären Bindungen und dem Kampf um Bürgerrechte geprägt sind, und das in einem politischen Umfeld, das häufig eher angreift als schützt.
Schon in jungen Jahren lernte Carlo – wie viele Menschen aus marginalisierten Communities – die harten Realitäten von Zurückweisung kennen und wie notwendig es ist, Resilienz zu entwickeln. Diese Erfahrungen prägten schließlich Stärke, Mut und Momente von Joy. Seine Botschaft ist klar: Queere Leben sind absolut richtig und wertvoll, und jede*r hat das Recht auf gleiche Chancen.
Carlo sieht soziale Medien als eine kraftvolle Plattform zur Selbstrepräsentation. Er ist überzeugt, dass sie marginalisierten Communities die Möglichkeit geben, ihre eigenen Geschichten zurückzuerobern, Stereotype herauszufordern und ihre Wahrheit selbstbewusst zu zeigen. Mit seinem Content drückt er nicht nur seine eigene Identität aus, sondern ermutigt auch andere dazu, dasselbe zu tun – Sichtbarkeit zu schaffen, Verständnis zu fördern und die Barrieren abzubauen, die viele zu lange zum Schweigen gebracht haben.
„Jeder Post, jedes Video, jede Performance, die ich teile, hat das Potenzial, zu beeinflussen, wie andere uns sehen – neue Räume für Akzeptanz zu schaffen und Vielfalt zu normalisieren. In meiner Arbeit möchte ich weiterhin die Idee fördern, dass wir alle frei sein dürfen, wir selbst zu sein, ohne Angst vor Verurteilung. Wenn ich auf der Straße tanze, oft in High Heels, wird Tanz für mich zu einer Form persönlicher Befreiung – aber auch zu einem Akt des Widerstands gegen gesellschaftliche Erwartungen. Soziale Medien bieten mir eine Plattform, auf der ich selbst bestimmen kann, wie ich gesehen werden will – Konventionen zu brechen und neue Räume für Sichtbarkeit und Akzeptanz zu schaffen.“

Fay Tzouma
Für Fay stand Bewegung schon immer im Zentrum ihres künstlerischen Schaffens. Ausgebildet in verschiedenen Stilrichtungen – mit einem Fokus auf zeitgenössischen Tanz und HipHop – trat sie in Musikvideos, Konzerten und Bühnenproduktionen auf und tauchte dabei auch in die Welten des Physical Theatre und der zeitgenössischen Performance ein. Neben ihrer tänzerischen Arbeit sammelte Fay zudem Erfahrung als Schauspielerin auf der Theaterbühne und im Film.
Soziale Medien wurden zu ihrer bevorzugten Plattform – ein zugänglicher, direkter Raum, in dem sie ihre Ideen teilen und mit einem breiteren Publikum in Kontakt treten konnte. Das unmittelbare Feedback und die direkte Interaktion spielten eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Gestaltung ihrer kreativen Projekte in Echtzeit. Eine frustrierende Realität bleibt jedoch der Mangel an Anerkennung durch viele Kunstinstitutionen, die Arbeiten für soziale Medien oft nicht als „ernstzunehmend“ oder „legitim“ betrachten – und damit Künstler*innen wie ihr wichtige Möglichkeiten verwehren.
Während der Covid-19-Krise erweiterte Fay ihre kreative Ausdrucksform um Videokunst und startete Fenilyy – eine fortlaufende persönliche Serie von Tanzfilmen, die Themen von Weiblichkeit durch abstrakte, theatralische Erzählformen erforscht. Außerdem arbeitete sie mit Andi Xhuma als Performerin und Kamerafrau an Big Plans, einer einjährigen Serie spontaner täglicher Tanzvideos – beide Projekte wurden gezielt für soziale Medien geschaffen und dort veröffentlicht.
„Ich plane eine Serie von Tanzvideos, an der auch andere Teilnehmer*innen mitwirken sollen – eine Gelegenheit, die ich in Athen aufgrund von Zeit- und Platzmangel nur selten habe. Außerdem möchte ich mich in die kreativen Prozesse anderer einbringen, denn mit digitalen Künstler*innen aus so vielfältigen Disziplinen zu arbeiten, ist eine seltene Erfahrung. Schließlich werde ich mit der frühen Arbeit an ‚She Who Bears‘ beginnen – einem Videoprojekt, das Zugehörigkeit und Entwurzelung thematisiert. Die Residency für Digitale Tanzschaffende ist für mich nicht nur eine Chance, neues Wissen zu gewinnen, sondern auch Teil einer Gemeinschaft zu sein, die digitale Arbeiten wertschätzt und fördert.“

Nea Landin
Nea ist eine in Schweden lebende Künstlerin, die Choreografie, bildende Kunst und Computerprogrammierung miteinander verbindet, um die menschliche Online-Präsenz und die Möglichkeiten von Performance und physischen Begegnungen in digitalen Landschaften zu erkunden. Ihr Ziel ist es, zentrale Ideen einer bewegungsbasierten Praxis vom rein physischen Medium in den digitalen Raum zu übersetzen und neu zu denken.
Zu ihren bisherigen Arbeiten zählen celestial bodies (2024), eine interaktive VR-Erfahrung; desktop.dreams (2023), eine live-gestreamte Performance auf einem Computer-Desktop; Mobilized – An Essay Pretending to Be a Game (2023), eine partizipative Performance über das Smartphone; und OTHER (2022), ein intimes, computervermitteltes Treffen zwischen zwei Teilnehmer*innen an unterschiedlichen Orten.
„Wie kann der Körper Raum in digitalen Realitäten einnehmen? Welche Möglichkeiten für Sensibilität, Miteinander und Poesie eröffnet das? In der Residenz für Digital Dance Creators entwickle ich eine browserbasierte partizipative choreografische Erfahrung, bei der sich Bewegung durch Pop-up-Fenster, Aufforderungen und wechselnde Aufmerksamkeitslenkung entfaltet. Die Benutzer*innenoberfläche fungiert dabei zugleich als Bühne und Partitur und untersucht, wie Präsenz und Bewegung durch unsere bildschirmgesteuerte Realität geformt werden.“

Riheb Aissaoui aka Ruby
Ruby ist eine tunesische Tänzerin im Feld des orientalischen Tanzes (Raqs Sharqi). Mit ihren digitalen Inhalten möchte sie die Vielfalt, Geschichte und Ästhetik dieser Tanzform sichtbar machen und einem internationalen Publikum zugänglich machen. Ihr Ziel ist es, eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem orientalischen Tanz anzuregen und dessen kulturelle Wurzeln stärker in den Fokus zu rücken.
Als sie ihren Instagram-Kanal startete, stand zunächst der Wunsch im Vordergrund, ihre tänzerische Praxis zu dokumentieren und öffentlich zu teilen. Dass sich daraus berufliche Perspektiven ergeben würden, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Insbesondere als Jurastudentin in einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem orientalischer Tanz (Raqs Sharqi) noch mit Vorurteilen behaftet ist, war die Entscheidung, ihre Arbeit öffentlich zu zeigen, nicht selbstverständlich. Unterstützt von ihrer Familie entschied sie sich dennoch für diesen Schritt, der den Austausch mit anderen Tänzer*innen, Lehrer*innen und einem breiteren Publikum ermöglichte.
„Im Rahmen der Residenz für Digital Dance Creators interessiert mich besonders die Frage, wie sich traditionelle Bewegungsformen mit digitalen Formaten verbinden lassen – und welche neuen Darstellungs- und Vermittlungsmöglichkeiten sich dadurch ergeben.“

Sebastian Matthias
Sebastian Matthias ist Choreograf und Tanzwissenschaftler. Seit 2024 ist er Professor für Tanz als forschende Praxis in sozialen Feldern an der Frankfurt University for Applied Sciences und forscht am Institut für Nachhaltigkeit am GFZ in Potsdam. Von 2022 bis 2024 war er Post-Doc am Institut für Performative Praxis, Kunst und Bildung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und von 2019 – 2021 am Institut Kultur der Metropole der HafenCity Universität Hamburg. Darüber hinaus hat er seit 2010 international an freien Produktionshäusern, Festivals und Theaterinstitutionen wie dem Theater Basel, Festival Tokyo oder dem tanzhaus nrw seine choreografischen Arbeiten gezeigt. Er studierte Tanz an der Juilliard School in New York, Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin und promovierte über Groove an der HCU Hamburg. Seit 2017 forscht er tanzwissenschaftlich und künstlerisch über TikTok in akademischen Artikeln, Performances und künstlerischen Interventionen.
Mentor der Residenz
Digitale Tanzpraktiken im Fokus – eine Residenz am tanzhaus nrw
Ziel ist es, den Künstler*innen Zeit und Raum zu geben, ihre Praxis zu hinterfragen, weiterzuentwickeln und ihre Interaktion mit der eigenen Community kritisch zu reflektieren. Dabei stehen Fragen im Mittelpunkt wie: Welche Inhalte produzieren sie – und wie beeinflusst das ihre künstlerische Identität? Welche Entwicklungspotentiale sehen sie in ihrer digitalen Praxis? Wie verändert sich Tanz, wenn er primär für digitale Plattformen geschaffen wird? Wenn diese Arbeit als Kunst verstanden wird, welche Verantwortungen gehen einher mit diesen Praktiken? Welche neuen ästhetischen und sozialen Dynamiken entstehen durch diesen Prozess?
Die Rolle sozialer Medien wird im Rahmen der Residenz auch kritisch reflektiert. Diese Plattformen sind nicht nur Räume, in denen neue Tanzpraktiken entstehen, sondern auch Orte, an denen wirtschaftliche Interessen dominieren, Algorithmen Hass und Desinformation verbreiten und verstärken und politische Einflussnahmen sichtbar werden. Dennoch sind soziale Medien zentrale Orte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Tanz und Bewegung spielen in diesen digitalen Räumen eine bedeutende Rolle – als künstlerische Ausdrucksformen, aber auch als Mittel politischer und sozialer Artikulation. Deshalb ist es entscheidend, diese Entwicklungen künstlerisch zu beforschen und mitzugestalten, anstatt sie allein den Konzernen zu überlassen.
Während der Residenz haben die Teilnehmer*innen Zugang zu den Studios des tanzhaus nrw, um ihre Ideen physisch zu erproben und ihre künstlerische Praxis zu vertiefen. Zudem können sie am Kursangebot der Akademie teilnehmen, um neue Tanzstile kennenzulernen und ihr Bewegungsvokabular zu erweitern.
Als Produktionshaus für Tanz stellt sich das tanzhaus nrw zudem der Frage, wie online entstehende Tanzpraktiken neue Wege der Publikumsansprache eröffnen. Tanz auf sozialen Medien verändert nicht nur, wie Tanz produziert und kuratiert wird, sondern auch, wie er rezipiert wird – sei es auf dem Smartphone, unterwegs oder zu Hause. Welche neuen Formate kann eine Institution entwickeln, um diese Tanzformen zugänglich zu machen?
Begleitet wird die Residenz von Choreograf und Tanzwissenschaftler Sebastian Matthias sowie tanzhaus nrw-Dramaturg Philipp Schaus, die als Mentoren den Reflexionsprozess unterstützen. Die Idee für eine Residenz für Digital Dance Creators entstand innerhalb der Zusammenarbeit von Arne Siebenmorgen, Brig Huezo, Caspar Weimann und Philipp Schaus im von Sebastian Matthias künstlerisch geleiteten Forschungslabor Post Internet Dances, das von Herbst 2022 bis Anfang 2023 im tanzhaus nrw stattfand. Im Dialog miteinander arbeiteten Sebastian Matthias und Philipp Schaus die Idee zum Konzept aus.