COC 4/6
The Choreography of Care
The Choreography of Care (4/6)
Scottee & Friends
Scottee:
[…] Ich dachte mir, ich fange mal mit einer Eröffnung an, damit wir schon mal unterwegs sind. Was bedeuten Selbstsorge und Fürsorge für dich?
Sam:
Raum. Ein Raum, in dem du fühlst, dass du authentisch sein kannst.
Asad:
Für mich heißt das gesehen und verstanden werden. Also, was sind meine Bedürfnisse? Was brauche ich? Was will ich? Dass das von anderen anerkannt wird.
Jen:
Okay. Oh, das ist eine große Sache. Ich glaube, die ersten Punkte, die mir dazu einfallen, wenn ich daran denke, sind Vertrauen, Gleichgewicht, Abgrenzung und Rahmen. Das Gefühl, die Erlaubnis zu haben, deutlich in jedweder Weise zu kommunizieren, oder in jedem Format, das für dich funktioniert.
Sam:
Das ist wie eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte. Wenn ich mit Scottee und Friends arbeite, wird es immer so vorgeschlagen‚ oh, sollen wir das machen?... oder nicht!‘. Wenn du eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte hast, macht es weniger Stress, denn ich kann mich entscheiden, nicht daran teilzunehmen, wenn ich das nicht möchte.
Scottee:
Mir fallen die Worte ‚anerkannt werden‘ ein. Fürsorge berührt nicht immer die richtigen Stellen und macht dann alles gut. Diese Erwartung hege ich nicht. Es handelt sich nicht um einen Löser oder eine Lösung, aber es ist schon mal die halbe Miete zur Anerkennung, warum Dinge schwierig sein können. ‚Ich sehe, warum das deine Bedürfnisse sind‘ und ‚ich sehe, warum du das brauchst‘, und das macht es für mich ziemlich erfreulich.
Asad:
Ich nehme an, dass es Sorge und Fürsorge in Großbuchstaben gibt. Ich gebe euch ein Beispiel. In meiner derzeitigen Arbeit, in einem sehr unternehmenszentrierten Job, habe ich mir eine Auszeit für die psychische Gesundheit genommen. Mir wurde sehr viel Raum und Ausbildung zur Selbstsorge gegeben, dafür, dass ich mich um mich selbst und andere kümmern konnte. Dieser kapitalistische Raum hat ein Element der Fürsorge geschaffen, allerdings in Kleinbuchstaben. Gleichzeitig hatte ich Produktivitätsziele. Ich habe Auslastungsziele. Ich muss bestimmte Vorgaben erfüllen, um, zum Beispiel, meinen Bonus erhalten zu können. Und dann gibt es die Care in groß, das Konzept der Sorge für sich und andere, und ich empfinde das als tatsächlich anti-kapitalistisch. Auch im Alltag gibt es sorgende Augenblicke, in kleineren Momenten. Für mich sind das häufig die stärkeren, sogar in der Arbeit, die wir (Scottee and Friends) machen, Sachen wie Check-In Abfertigungen. Formelle Check-Ins, das ist so eine kleine Handlung.
Das ist ein Teil der Care. Für mich ist das fassbarer, etwas, das ich fühlen und erleben kann. Ich finde es gut, wenn der Raum für alle breiter und einladender gestaltet wird, aber es fühlt sich wie eine wirklich riesige Aufgabe an. Manchmal überwältigt mich das, und dann grenze ich es ein, darauf, worauf ich mich konzentrieren kann. Welche Sorgepraxis kann ich auf dem Weg umsetzen?
Sam:
Ja. Ich arbeite nicht in einer Unternehmensumgebung, aber ich habe Freunde, bei denen das der Fall ist, und ich finde es seltsam, dass es Orte mit einem Raum zum Schlafen gibt oder für einen sorgenden Austausch, die aber alle aus einem Diagramm entstanden sind, das behauptet ‚kümmern wir uns um Menschen, erhöht das ihre Produktivität‘.
Es ist eine seltsame, heimtückische Verwendung von Care, denn das wird gemacht, um Geld zu verdienen, weil ihnen jetzt klar ist, dass sie Menschen nicht vollständig erschöpfen können, denn dann erwirtschaften sie weniger Geld. Merkwürdig.
Jen:
Ja. Ich denke, dass es sich dabei um kapitalistische Care, um bedingte Care handelt. Das ist interessant, denn es gibt den Menschen genug Care, um weiterzuarbeiten und Waren herzustellen, aber unter der Voraussetzung, dass man weiterhin auf eben diese Weise arbeitet.
Wie in jeder Arbeitsumgebung, zum Beispiel in den Künsten, werden dir eine Menge Sachen geboten, wenn du bestimmte Dinge tust. Es herrscht Produktionsdruck. Ich lese gerade Dreaming Disability Justice von Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha, brownstargirl.org, ein herausragendes Buch. Darin spricht sie über unbedingte Fürsorge, Fürsorge, die nicht davon abhängt, ob du gemocht wirst; alle sollten Zugang haben zu menschlicher, würdevoller Fürsorge, ohne Ansehen, ob es dir gerade schlecht geht oder ob du ein komplettes Arschloch bist. Das sollte keine Auswirkungen haben, denn so arbeitet einfach das Gehirn, manchmal ist es kompliziert. Ich könnte einfach ewig darüber reden.
Scottee & Friends Ltd.
Scottee & Friends Ltd. ist ein Künstler*innenkollektiv und produziert Arbeiten zu den Themen, die wir normalerweise nicht beachten. In diesem Beitrag diskutieren Sam Buttery, Asad Ullah, Jen Smethurst und Scottee Sorge und Fürsorge in der Kunst, die Herangehensweisen innerhalb ihrer gemeinsamen Arbeiten und gegenseitige Anerkennung.
Scottee
Ich heiße Scottee, und ich bin eine dicke, queere, weiße Person mit rotblonder Gesichtsbehaarung und einer übergroßen Elton-John-Brille. Heute trage ich in meinem Studio in Salford ein graues Sweatshirt. Und hinter mir befinden sich eine ganze Menge Bücher und Kunstmaterialien. Ich benutze die Pronomen ‚er‘ und ‚sie‘ beziehungsweise he/they, aber ich verwende keine männlich konnotierten Beschreibungen.
Sam
Ich bin Sam, ich bin dick, camp und kahl, haarlos. Ich habe Haarausfall. Ich trage Makeup, meine Haut schimmert feucht, beinahe ölig. Der Hintergrund ist einfach weiß. Ich trage eine Tunika. Ihr könnt sie nicht sehen, deshalb stehe ich mal auf. Pronomen. Ich glaube, ich benutze they/them, aber wer zur Hölle weiß das schon, denn eigentlich möchte ich nur in meinen Kleidern auf und ab stolzieren und in Ruhe Pipi machen.
Ich glaube, da haben wir mein Pronomen. (Gelächter)
Jen
Ich bin Jen, meine Pronomen sind they/them. Ich bin eine weiße trans nicht-binäre Person, AFAB (Allocated Female At Birth/ Weiblich als bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht). Ich trage braunes Haar, momentan in einem Trans-Dutt, das ich später vielleicht noch herunterlasse, und es ist so braun, also wellig oder lockig mit einem Gefühl, als wenn ein Löwe oder Pony über eine Moorlandschaft rennt, ich habe eine Menge Piercings im Ohr und ein Lippenpiercing, direkt unter meiner Unterlippe. Ich trage einen schwarzen Pulli mit einem verschnörkelten Motiv, mit den Worten ‚They/ Them‘ darauf.
Asad
Ich bin Asad. Ich bin eine dicke, queere, braune Person mit halblangen, lockigen, welligen schwarzen Haaren, die momentan nach rechts geworfen sind. Demnächst lasse ich mir die Haare schneiden, aber das lange Haar bleibt. Ich trage eine große, vielleicht nicht ganz so Elton-John-große, durchsichtige Brille. Ich habe einen schwarzen Bart mit ein bisschen Graustich am Kinn, das seht ihr hier und hier. Ich trage ein weißes Leinenhemd, mit einer Stickarbeit darauf, die sehr nach Siebzigerjahre-Pakistan-Look aussieht. Stellt euch die Seite eines pakistanischen Busses vor, so ungefähr sieht die Vorderseite meines Hemdes aus.
Ich sitze hier in meinem Schlafzimmer respektive Büro, und an der Wand hinter mir habe ich ein sehr kitschiges Live-Laugh-Love-Herzchen, das man mir geschenkt hat, aber von der Person, die es mir geschenkt hat, heißt das eine Menge. Es hängt direkt hinter mir. Es ist so ein gräuliches, herzförmiges Kissen, das an der Wand hängt. Es hat einen sentimentalen Wert, deshalb hängt es da.