Backstage mit Thaddäus Maria Jungmann
Thaddäus, was deine Arbeit für mich auszeichnet, ist die große Spannbreite an verschiedenen Tätigkeitsfeldern und Funktionen, die du übernimmst. Du arbeitest choreografisch und als Tänzer*in und Performer*in – aktuell im Programm des Festivals tanz nrw und am tanzhaus zuletzt auch bei Now&Next –, als Dramaturg*in, Audiobeschreiber*in und Journalist*in. Wie befruchtet sich all dies, wie steht es für dich in einem Zusammenhang?
Für mich ist das Springen zwischen den Feldern sehr organisch. Mal die süße Musical-Showmaus, dann poetische*r Audiobeschreiber*in und plötzlich sachliche Journalist*in. Für mich stehen diese unterschiedlichen Rollen nicht in einem Widerspruch, sondern in einem lebendigen Austausch. Ich verstehe sie als verschiedene Perspektiven auf ein gemeinsames Anliegen: nämlich die Frage, wie Körper, Wahrnehmung und Macht zusammenhängen – auf der Bühne, in Texten, in der Sprache, in der Beschreibung, in der Art, wie etwas zugänglich gemacht wird. Als Performer*in verhandle ich die Wahrnehmung meines eigenen Körpers, als Dramaturg*in denke ich über Struktur, Kontext und Sinnzusammenhänge nach. Die künstlerische Audiodeskription ist für mich eine poetisch-politische Praxis, die Wahrnehmung verschiebt: Sie verlangt Genauigkeit und Imagination zugleich. Und das Schreiben, also das journalistische oder essayistische Arbeiten, erlaubt mir, diese Erfahrungen zu reflektieren, weiterzudenken, manchmal auch zu sortieren. All diese Tätigkeiten nähren sich gegenseitig. Ich glaube, mein künstlerischer Blick schärft sich durch das Schreiben, mein Schreiben durch das Performen, und meine Praxis insgesamt durch das ständige Wechseln der Perspektive. Es geht mir darum, Räume zu öffnen – ästhetisch, aber auch gesellschaftlich. Und ich sehe in dieser Vielstimmigkeit nicht ein Zuviel, sondern eine Chance: für Komplexität, für Verbindung, für andere Arten des Zuhörens und Sichtbarmachens.
Diese Beweglichkeit zwischen Feldern, Genres und Institutionen vermittelt Wissen und gibt die Möglichkeit, andere Perspektiven in die Arbeit einzubringen. Du hast mal beschrieben, wie dir die Arbeit als Künstler*in die journalistische Arbeit verhindert hat, da dir so offenbar kein ‚Außenblick‘, was auch immer das heißt, zugetraut wurde. D.h. es ist ein Reichtum, aber es werden gleichzeitig Grenzen deutlich, oder?
Das stimmt: Gerade im Journalismus, der oft noch einem Ideal von Neutralität oder vermeintlicher Objektivität folgt, frage ich mich zunehmend: Welche Stimmen werden eigentlich hörbar – und aus welcher Position heraus wird geschrieben? Wer bekommt die Autorität, Beobachtungen zu äußern? Ich glaube bzw. machen wir uns nichts vor, dass sogenannte Außenblicke selten neutral sind, sondern viel mit Macht und Zugehörigkeit zu tun haben.
Ich selbst bewege mich fast ausschließlich im Feld der Performing Arts. Und gleichzeitig begleitet mich seit einem Gespräch mit Stefan Hilterhaus von PACT die Frage: Wer kann eigentlich noch über unsere Kunst schreiben? Seine Bemerkung hat mich zum Nachdenken gebracht – ob es nicht spannend bzw. mit den momentanen Entwicklungen in der Kunst fast notwendig wäre, andere Expertisen als ausschließlich im Kulturbereich mitzubringen. Vielleicht ist es genau dieses Übersetzen zwischen Welten, das fehlt – oder das wir uns noch mehr zutrauen könnten. Ich liebe das journalistische Arbeiten sehr, gerade weil es für mich auch eine Form der Feldforschung für meine eigene künstlerische Praxis ist.
Forschung ist ein gutes Stichwort. Am tanzhaus nrw bist du aktiv in künstlerische Forschungsprojekte eingebunden. Du warst Teil unserer Community of Practice: Performative & Choreographic Practices of Intimate Physicality und bist Mitglied des Labors für kreative Audiodeskription für Tanz von Fia Neises und Zwoisy Mears-Clarke. Was bedeutet diese Arbeit am tanzhaus nrw für dich?
Für mich ist das tanzhaus nrw ein zentraler Ort, um mit anderen Ästhetiken und unterschiedlichen Kontexten und Diskursen in Kontakt zu kommen. Ich kann hier die Arbeit internationaler Künstler*innen sehen und mit ihnen arbeiten – etwa in der Community of Practice mit Dan Daw oder Tiran Willemse. Für mich ist das tanzhaus ein guter Ort, um sich mit anderen Künstler*innen auszutauschen, unterschiedliche künstlerische Praxen kennenzulernen, sich gegenseitig zu inspirieren. Das tanzhaus ist ein bedeutender sozialer Ort, ein Treffpunkt. Und – sehr wichtig – ein Ort der Weiterbildung.
Lass uns auf die Performance JUNGMANN//JUNGKLAUS zu sprechen kommen, die zu tanz nrw eingeladen wurde und am tanzhaus nrw am Eröffnungstag des Festivals gezeigt wird. Ich war sehr vom Titel fasziniert und frage mich die ganze Zeit, wer ist Jungklaus?
Tatsächlich habe ich eine Zeit lang als Gabelstaplerfahrer*in gearbeitet – mit einem Modell des deutschen Unternehmens Jungheinrich. Der ursprünglich geplante Titel des Stücks war daher JUNGMANN//JUNGHEINRICH. Wir standen im Austausch mit dem Unternehmen und hatten die Hoffnung, von Jungheinrich unterstützt zu werden. Die Rückmeldungen klangen zunächst vielversprechend, wir waren zuversichtlich. Doch dann kam die Absage: keine Förderung, und auch die Nutzung des Namens wurde uns untersagt. Das war enttäuschend – denn im Stück geht es genau um die Beziehung zwischen mir und dem Gabelstapler. Zwei Körper, die aufeinandertreffen. Wir wollten dieser Maschine, zu der ich eine so schöne, fast zärtliche Beziehung hatte, Raum geben. Kurz vor der Premiere standen wir also vor der Frage: Wie kommen wir da jetzt raus? Und, ich sag’s mal ganz salopp, wir brauchten einen blöden deutschen Männernamen. So wurde es Klaus. Dieses Unternehmen war in seiner Absage irgendwie auch ein ‚Klaus‘. Vielleicht wäre das Stück für sie keine große Promotion gewesen, aber doch eine schöne, berührende Geschichte. Ich dachte mir nur: Ach Jungheinrich – das sind wirklich Kläuse.
Ich kannte das Unternehmen nicht. Im Bereich Gabelstapler sind sie international führend. Für mich ergibt sich das Wortspiel mit den Namen. Männlichkeit rückt so in den Fokus, noch bevor ich den Gapelstapler, die Maschine als Akteurin, wahrgenommen habe.
Meine Kollegin Daniela Riebesam, Dramaturgin des Stücks, und ich fanden es wichtig dieser Maschine einen Namen zu geben – ihr eine Art Subjektstatus zu verleihen. Im Stück geht es ebenso um die Entmännlichung der Maschine und der gesamten Struktur, in der sie arbeitet: dieses patriarchale System von Schichtarbeit, von Effizienz und Funktionalität. Wir haben diese Ordnung hinterfragt, dekonstruiert, verqueert – und so versucht, neue Beziehungen zwischen Mensch und Maschine sichtbar zu machen.
Was umfasst Queering als künstlerische Praxis bei JUNGMANN//JUNGKLAUS?
Queering bedeutet für JUNGMANN//JUNGKLAUS in erster Linie bestehende Ordnungen zu verschieben. Es geht darum, Zuschreibungen aufzubrechen – wer oder was als ‚nützlich‘, ‚produktiv‘, ‚männlich‘, ‚mächtig‘ oder ‚technisch‘ gilt – und neue, unerwartete Beziehungen zu denken. Der Gabelstapler ist in unserem Stück nicht einfach eine Maschine, sondern eine Partnerin, ein Körper, eine Figur mit Eigenleben. Durch diese Beziehung verschiebt sich auch meine eigene Position: Ich bin nicht nur Fahrer*in, sondern werde berührt, geführt, herausgefordert. Queering zeigt sich hier sowohl als ästhetische Strategie als auch als Haltung. Wir entziehen der Maschine ihre typische Männlichkeitsaufladung und öffnen Raum für Intimität, Zärtlichkeit, Ambivalenz. Auch das Setting der Schichtarbeit – sonst durchgetaktet, funktional, normiert – wird neu befragt. Wir schaffen alternative Strukturen: Räume der Regeneration und der Reproduktion, die in der Arbeitswelt – und insbesondere dort, wo ich selbst mit dem Gabelstapler gearbeitet habe – kaum bis gar nicht präsent sind. Ich verstehe Queerness als eine herrschaftskritische Praxis – nicht ausschließlich als Frage von Geschlechtsidentität oder Sexualität, sondern als konsequente Dekonstruktion von Normen. Dahinter stehen Fragen nach Verantwortung, nach Fürsorge und nach der Veränderbarkeit von Strukturen. Und auch wenn queere Perspektiven zunehmend sichtbarer werden, bleiben sie nach wie vor marginalisiert.
Für mich dekonstruiert ihr in JUNGMANN//JUNGKLAUS nicht nur im Sinne eines Aufbrechens von Normen oder Vorstellungen von Männlichkeit und Maschine, sondern ich sehe etwas Neues, etwas Anderes. Etwas, das eher affirmativ als subversiv-kritisch ist. Eine neue Vision einer Beziehung zueinander. Das hat für mich mit Pleasure, mit Zärtlichkeit zu tun.
Absolut, es ist eine zärtliche Provokation. Es kann provozierend sein, aber es ist nicht so in your face. Ich kritisiere nicht einfach die Situation, wie sie ist, sondern ich biete Lösungsansätze an. Manchmal würde ich mir wünschen, dass ich mich trauen würde, radikaler vorzugehen. Das ist eine Vision von mir, für die Zukunft.
Das Stück beruht auf biografischen Erlebnissen und Erfahrungen – diese können eine Fiktion sein, das kann ich als Leserin des Ankündigungstexts oder als Rezipientin nicht wissen, aber dadurch setzt du dich als Performer*in aus, du wirst verwundbar. Zusätzlich ist es eine Performance im öffentlichen Raum, in der alle möglichen Leute spontan auf die Performance treffen können. Das birgt für mich sehr viel Radikalität. Wie funktioniert zärtliche Provokation im Stadtraum?
JUNGMANN//JUNGKLAUS ist eine Koproduktion mit dem Figurentheater Osnabrück. Die Auseinandersetzung mit Objekttheater war für Daniela und mich künstlerisch sehr bereichernd – auch weil wir uns zuvor intensiv mit New Materialism beschäftigt hatten und die Auseinandersetzung mit Objekten als Akteur*innen auf der Bühne spannend fanden. Die Spielzeit des Theaters stand unter dem Thema Mensch, Natur, Maschine – das passte perfekt. Daraus ergab sich auch die Entscheidung, die Performance draußen zu zeigen. Am liebsten hätte ich auf einer Wiese gespielt – eine Halle wäre mir zu nah an den tatsächlichen Arbeitsbedingungen gewesen. Wir wollten nicht die Härte der Fabrik zeigen, sondern die zärtliche Beziehung zwischen mir und der Maschine in den Fokus rücken. Uns war wichtig, queere Geschichten in einen offenen, öffentlichen Raum zu bringen – gerade weil dieser von Ein- und Ausschlüssen geprägt ist. Schon beim Proben im Freien kamen wir mit vielen Passant*innen ins Gespräch. Einige luden uns spontan ein, auf ihrem Gelände zu spielen. Manche waren einfach fasziniert vom Gabelstapler, andere fanden die Szene so skurril, dass sie zur Aufführung kamen. Einmal wollte sogar jemand die Polizei rufen – aus Sorge um die Sicherheit, wenn verletzliches Fleisch auf einem so massiven Gerät herumfährt. Autos bremsten ab, Menschen blieben stehen. Die Straße wurde zur Bühne.
Auf dem Mitschnitt der Performance, den ich gesehen habe, geht die Sonne unter, Lichter der Maschine gehen an. Ihr arbeitet mit einem kreatürlichen, glibbeligen Material, diesen veganen Gelantinebrocken. Für mich entwickelt die fortschreitende Performance einen Ritualcharakter. Ich verfolge ein nicht lesbares, mehrdeutiges Ritual.
Ich liebe das Agar-Agar als Element – es ist ein echtes Highlight. Alles andere ist so klar: verletzliches Fleisch, Maschine, Warten, Fahren, Bewegung. Doch mit dem Agar-Agar kommt ein Geheimnis ins Spiel, das viel oder auch gar nichts bedeuten kann. Es ist einfach da und öffnet einen neuen Raum. Manche Zuschauer*innen werden davon vielleicht überfordert, oder sie sind darauf fixiert, genau zu verstehen, was es darstellt. Kinder im Publikum hinterfragen nicht die Bedeutung des Materials, wollen es nach der Vorstellung direkt berühren, damit spielen. Diese Unklarheit, die das Agar-Agar mitbringt, fügt sich gut in das Gesamtgefühl der Performance ein, die ich mir wünsche. Ich hoffe, dass wir die Zuschauer*innen in eine entspannte Atmosphäre einladen können, in der die Zeit vergeht und sie nicht ständig darüber nachdenken, wo sie sich gerade befinden. Die Performance geht ein Stück weit um Sterblichkeit, um Zerbrechlichkeit und die Verwundbarkeit des Fleischs – das Gefühl, von der Maschine zerdrückt werden zu können. Auch wenn wir keine Horror-Thriller-Dramaturgie daraus entwickeln, spielt diese Wahrnehmung eine wichtige Rolle im Stück.
Die Performance gliedert sich deutlich in verschiedene Teile. Die Dramaturgie macht wie das Bewegungsmaterial verschiedene Referenzen auf –
Der Aufbau folgt zunächst einem klassischen Pas-de-deux, mit Entree, Adagio, und einer deutlichen Referenz an das Ballett. Das bildet den ersten Teil der Performance, in dem es um eine Annäherung der verschiedenen Bewegungsqualitäten geht, darum, deutlich zu machen, wie dieser andere Körper funktioniert. Dieses Mechanische des Gabelstaplers und die Flexibilität, das Fließende meines Körpers, der dagegen weniger kraftvoll und stark ist. Meine Körperlichkeit hat sich mit der Nutzung des Geräts verändert. Das war die ursprüngliche Motivation für mich, dieses Stück zu machen. Als ich angefangen habe als Gabelstaplerfahrer*in zu arbeiten, war meine Körperlichkeit in diesem Kontext radikal anders, die Art, wie ich mich bewegt habe, fließend, weich, zärtlich, wich total von diesem Umfeld ab. Aber sobald ich hinter dem Steuer saß und mich mit dem Gabelstapler bewegt habe, wurde das nicht mehr hinterfragt. Ab dem Moment, wo ich die Maschine bedient habe, wurde ich gegrüßt wie alle anderen. Ab dem Moment, wo ich die Fähigkeit erlangt hatte, dieses Gerät zu fahren, war ich Teil dieser Firma. Diesen Übergang, der sich körperlich und in der Bewegung manifestiert hat, fand ich spannend. So kam es zu dieser Recherche, herauszufinden, was sind meine Fähigkeiten und die Fähigkeiten des Staplers. Und wo treffen wir uns. Das ist fast schon eine romantische Erzählung. Nach dieser Annäherung der beiden Körper geht es um Arbeitsprozesse und die Zeitlichkeit von Arbeit. Wir zeigen kapitalistische Strukturen, dieses Aufeinanderstapeln, dass dann eine ganz wackelige Sache wird. Es wird gestapelt und dann zerfließt es einfach so, sodass kapitalistische Arbeit letztlich etwas Irrelevantes bekommt. Plötzlich bricht diese Realität herein, der Moment, wo wir zusammen grillen, eine Pause machen. Fleisch wird gegessen. Bei uns ist es kein Fleisch, aber es verweist auf diesen Kontext. Das ist ein weiterer Bruch. Und danach wird es erotisch. Dieses Säubern und füreinander da sein und dieses endgültige Verschmelzen. Ich werde dieser Erde sozusagen enthoben und hochgefahren, es öffnen sich neue Perspektive – queere Zeitlichkeit im Sinne des Gegenteils von diesen harten Arbeitsstrukturen.
Die Choreografie entwickelt eine Komplexität der Beziehung zwischen dem Gabelstapler und dir, es gibt so viele kleine Details. Die Hebefiguren, dieses rauf und runterfahren, und ich erinnere einen Moment, wo du der Maschine ein Klaps verpasst oder wie du sie abrupt rumdrehst.
Das ist ein Austesten und gleichzeitig Hinterfragen von Führen und Folgen. Und dann kommt tatsächlich der dritte Akteur, der kleine Gabelstapler. Der kleine Gabelstapler kann schnell als Kind wahrgenommen werden. Aber das ist nicht unbedingt so gemeint. Uns ging es darum, die Miniatur von diesem Koloss zu zeigen, sie ist einfach süß und verfügt über die gleichen Fähigkeiten zu stapeln und zu fahren. Mich hat der Film Titane (2021) inspiriert. Die Protagonistin hat darin Sex mit Autos – und wird daraufhin schwanger. Mich interessieren solche Visionen von der Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Es ist sehr spannend darüber nachzudenken, was wir für eine Verbindung zu unseren Endgeräten, zu unserem Laptop, zum Handy, zu vielen Maschinen haben. Es gibt da auch den Modus der Fetischisierung, wenn Personen 3.000€ für eine Kaffeemaschine ausgeben.
JUNGMANN//JUNGKLAUS ist eine kollektive Arbeit von Daniela Riebesam und dir. Ist das eure erste gemeinsame Arbeit als Jungmann & Riebesam?
Ja. Ursprünglich habe ich Daniela als Dramaturgin für JUNGMANN//JUNGKLAUS angefragt. In der Zusammenarbeit wurde deutlich, dass das Stück unser gemeinsames ist. Vom Konzept bis zur Performance. Also wäre es falsch, wenn da nur mein Name stehen würde, weil es nicht nur meine Ideen und Entscheidungen sind. Wir teilen ähnliche Vorstellungen von Ästhetiken und Arbeitsweisen, woraufhin wir das Kollektiv gegründet haben. Bisher habe ich sehr viele Solo-Arbeiten gemacht und eine große Sehnsucht danach, mir und uns Strukturen zu erarbeiten und gemeinsam weiterzudenken. Gerade in der Freien Szene ist es schwierig, sich alleine immer wieder neue Kontexte zu schaffen und neue Leute zu suchen, mit denen man arbeiten möchte. Es war übrigens ein Zufall, dass Daniela und ich beide im Feld Audiodeskription gelandet sind. Für uns ist das ein ästhetisches Mittel, das in unserer Kunst auch zukünftig vorkommen soll.
Und für JUNGMANN//JUNGKLAUS entwickelt ihr nun im Rahmen von tanz nrw zusammen mit der blinden Audiobeschreiberin und Dramaturgin Sabine Kuxdorf eine Audiodeskription.
Genau. Wir freuen uns sehr, dass es klappt. Bisher ist geplant, dass wir das Konzept zu dritt entwickeln und auch schreiben. Daniela wird die Audiodeskription einsprechen.
Wir kommen später auf Audiodeskription und kollaboratives Arbeiten zurück. Ich möchte erst über dein Solo mit dem Titel 🔥 🔥 🔥 – drei Feuer-Emojis – sprechen, in dem es um Hotness geht und du als Figur auf der Bühne für dich beanspruchst, hot zu sein. Am tanzhaus nrw wurde es im Rahmen der Plattform Now&Next im Juni 2024 gezeigt. Auch diese Performance könnte im Sinne einer subversiven Affirmation als zärtliche Provokation begriffen werden, oder?
Wie bei JUNGMANN//JUNGKLAUS geht es auch in dieser Arbeit um Verletzlichkeit – um die Sehnsucht, so gesehen zu werden, wie ich gesehen werden möchte, und mich zugleich der Situation auszusetzen, in der Hoffnung, tatsächlich auf diese Weise wahrgenommen zu werden. Bei 🔥🔥🔥 habe ich beobachtet, dass Teile des Publikums oft erst in der zweiten Hälfte verstehen, dass die Performance eine ironische Perspektive einnimmt. Anfangs wird vieles, was ich sage, sehr ernst genommen. Genau damit spiele ich – bis irgendwann der Twist kommt: „Ah, die Person übertreibt maßlos.“
Ich mag Humor auf der Bühne. In meinen Arbeiten setze ich ihn eher intuitiv als strategisch ein. Es sind Momente der Überzeichnung, mit denen ich gleichzeitig etwas sichtbar mache, etwas freilege: Wenn es in Stücken um Erderwärmung geht, wird das Thema häufig sehr ernst und schwer inszeniert – was verständlich ist, weil es ein dringendes und hochkritisches Thema ist. Aber ich finde es spannend, eine andere Annäherung zu versuchen, jenseits der Geste von „die Welt geht unter“. Denn: Es ist doch ohnehin klar, dass sie untergeht, solange wir hier sind.
Diese bewusste künstlerische Setzung, etwas aus einem Kontext in einen anderen zu transferieren, eröffnet neue Spielräume oder eine Möglichkeit, in der Distanz den Ernst der Lage anzuerkennen. Dem Claiming von Hotness kommt in dem Stück aber auch eine ermächtigende Rolle zu, oder?
Ja, absolut! Das Stück basiert auf persönlichen Erfahrungen: Immer wieder wurde ich in Musicals für unattraktive Figuren mit komödiantischem Rollenprofil gecastet. Die Performance ist für mich ein selbstbestimmter Akt, auf der Bühne hot zu sein. Während der Proben und der Auseinandersetzung damit, was ‚hot‘ überhaupt bedeutet, wurde mir etwas klar: Hotness ist oftmals wie eine Fata Morgana. Aus der Distanz: „Wow!“ – doch je näher man kommt, desto mehr entpuppt sie sich als Projektionsfläche, die sich im Licht auflöst. Am Ende der Performance verteile ich Eis am Stiel, komme mit dem Publikum in Kontakt – ich verlasse die Fata Morgana und öffne eine andere, weichere Perspektive auf die Frage: Was ist Hotness? Die Performance stellt verschiedene Antworten nebeneinander, ohne sich festzulegen. Für mich persönlich ist eine süße Maus, eine Person mit Fürsorge, das neue 🔥.
Während der Performance entwickelt sich durch die Heizstrahler eine sehr reale, physisch präsente Hotness. Ist das wieder Technik bzw. die Maschine als Akteurin?
In dieser Performance bekommen die Heizstrahler keine eigene Handlungsmacht, sondern unterstützen zunächst eine angenehme Wärme zu erzeugen, die sich jedoch allmählich in eine bedrohliche Hitze verwandelt. Hotness wird dabei nicht nur visuell vermittelt, sondern auch körperlich erfahrbar – durch die spürbare Veränderung der Raumtemperatur. Ich entscheide live, wann sie ein- oder ausgeschaltet werden – ein Machtspiel beginnt. Es ist eine ironische Annäherung, die eine Verbindung herstellt zwischen der zwanghaften Begierde nach normierten, perfekten Körpern und der globalen Erwärmung.
In 🔥 🔥 🔥 nutzt du Sprache. Wie arbeitest du aus dem Tanz, den Performing Arts kommend, mit Text? Hast du als Künstler*in eine besondere Affinität zu Text?
Bei der Stückentwicklung zu 🔥🔥🔥 hatte ich zunächst keine Probenräume zur Verfügung. Aus der Not heraus habe ich gemeinsam mit meinem Kollegen Nico Hartwig eine Schreibwoche eingelegt – daraus entwickelte sich die Textebene, die schnell zu einem zentralen Element der Performance wurde. Bevor überhaupt eine Bewegung gesetzt war, richtete sich alles andere nach einem Textfragment aus. Inspiriert hat mich die starke künstlerische Arbeit von Artmann & Duvoisin. Für eine Reportage habe ich Elsa Artmann und Samuel Duvoisin einmal interviewt. Elsa sagte damals: „Es ist nicht so, dass Tanz da beginnt, wo Sprache versagt – es läuft alles parallel.“ Diese Aussage war für mich eine sehr wertvolle Erkenntnis. Heute denke ich: Alles ist Sprache – auch wenn ich tanze. Allerdings als Audiobeschreiber*in begegne ich immer wieder der Schwierigkeit, Tanz in Worte zu fassen: Tanz ist ephemer – direkt weg; man kommt mit dem Beschreiben nicht hinterher.
Jetzt hast du Audiodeskription erneut angesprochen. Du bist wie gesagt Teil des Labors für kreative Audiodeskription für Tanz. Gemeinsam mit Sabine Kuxdorf hast du die erste künstlerisch-kreative Audiodeskription am tanzhaus nrw entwickelt, für das Stück POINT OF NO RETURN von Yeliz Pazar.
Erstmal möchte ich betonen, wie wichtig das Labor als Treffpunkt für mich ist. Zunächst, um mit dem Feld und Akteur*innen und Nutzer*innen von Autodeskriptionen in Kontakt zu kommen. Zu lernen, dass es unterschiedliche Methoden und Stile von Audiodeskription gibt. Das Wichtigste, was ich aus den Workshops von Fia Neises und Zwoisy Mears-Clarke mitgenommen habe, ist die Überzeugung, dass es nicht um eine Eins-zu-eins-Übersetzung dessen gehen kann, was auf der Bühne passiert, sondern darum, Audiodeskription als ein eigenes ästhetisches Mittel, das eine eigene Dramaturgie verfolgt und nicht ein Identisches mit der Performance ist – weil es das ohnehin nicht geben kann. Alle Personen im Raum werden eine Aufführung unterschiedlich wahrnehmen. Es kann und muss kein gleiches Erleben sein. Die Audiodeskription soll für mich ein multisensorisches Erlebnis schaffen.
Ich möchte Leser*innen hier auf den Audiobeitrag Forschungsfeld Audiodeskription – Tanz für alle erlebbar machen aufmerksam machen. In diesem Beitrag spricht Amy Zayed mit Sabine Kuxdorf und dir ausführlich über Eure gemeinsame Arbeit. Kollektive oder kollaborative Arbeitsstrukturen scheinen dir wichtig zu sein. Hast du in diesen herausfordernden Zeiten über die genannten konkreten Pläne hinaus eine Vision für die Zukunft?
Kollaboratives Arbeiten ist auf jeden Fall sehr wichtig für mich. Ich denke an Formate wie takemorecare von Lili M. Rampre und Valerie Wehrens – ein monatliches Treffen, bei dem Teilnehmer*innen sich über wissenschaftliche wie künstlerische Prozesse austauschen. Solche Initiativen helfen ungemein, weil sie spüren lassen: Ich bin nicht allein. Diese Erfahrung von Gemeinschaft ist unglaublich stärkend. Was ich mir für die Kulturlandschaft NRW in Zukunft wünsche, sind nachhaltigere und langfristigere Förderstrukturen – zum Beispiel eine Absicherung über drei Jahre. Das betrifft auch Bereiche wie die Erstellung von Audiodeskriptionen, bei denen enorm viel zusätzliche kommunikative und bürokratische Arbeit anfällt, die bisher nicht mitgedacht und nicht bezahlt wird. Gerade kollaborative Arbeitsweisen erfordern mehr Zeit – für Austausch, Forschung und das gegenseitige Einlassen. Die aktuellen Kürzungen bedrohen genau diese Prozesse.
In diesem Sinne: danke für deine Zeit und das Teilen deiner Gedanken!
Thaddäus Maria Jungmann lebt als freiberufliche*r Performer*in in Köln. In der eigenen künstlerischen Praxis beschäftigt sie sich mit der Handlungsmacht von Objekten im Verhältnis zu ihrem eigenen queeren Körper. Als Journalist*n kam sie durch das Schreiben über Tanz zur Audiodeskription. Momentan erforscht sie im Masterstudiengang Tanzwissenschaft an der Hochschule für Musik und Tanz Köln das Feld der künstlerischen Audiodeskription.
Das Interview führte Lucie Ortmann, Dramaturgin am tanzhaus nrw.