Backstage mit Sorour Darabi

Der*die Performer*in Sorour Darabi sitzt umgeben und bedeckt von einer großen. blonden Perücke auf dem Boden. Es ist nur das Gesicht des*der Performer*in zu sehen.

Sorour, welches Erlebnis wünscht du dir für das Publikum in der Begegnung mit Natural Drama?

Ich möchte, dass Menschen in meiner Arbeit etwas erleben, das sie emotional bewegt, und ich möchte, dass das Publikum eine körperliche Verbindung zu dem, was es sieht, aufbaut. Es ist mir wichtiger, etwas zu zeigen, das ihre Gefühle herausfordert anstelle einer intellektuellen Erfahrung. Mich haben schon immer Arbeiten angezogen, denen es gelingt, eine Verbindung zu meinen Gefühlen aufzubauen und mir etwas zu zeigen, das außerhalb meiner eigenen Gedanken oder körperlichen Wahrnehmung lag. Die Erfahrung des Publikums ist für mich auch eine Frage des Dominierens. Die Art, wie ich als Künstler das Publikum dominiere, steht in Verbindung zu Gefühlen. Das ist beinahe wie ein Spiel, das ich gerne spiele. Ich spiele mit den Gefühlen und emotionalen Zuständen der Menschen (lacht). Ich mache keine Stücke, um dem Publikum zu gefallen. Ich möchte, dass das Publikum paradoxe Gefühle erlebt, Gefühle im Bauch, Zweifel, Angst, Ablehnung. Das ist alles willkommen solange ich als fiktive Figur auf einer Spielfläche anerkannt werde. In Natural Drama werfe ich Fragen und Gedanken rund um die Umwelt und den Klimawandel auf, und mich interessiert es, diesen Wandlungsprozess zu den Körpern im Publikum zu transportieren. Das Stück ist Teil eines Diskurs, der sich derzeit durch alle Bereiche der Kunstwelt zieht. Wie können wir in Zeiten des Klimawandels, der den Planeten in solch einer Drastik trifft, Kunst machen? Wem stehen dafür die Ressourcen zur Verfügung?
Im Zusammenhang mit diesen Fragen gibt es viele Auseinandersetzungen mit den großen und berühmten Akteur*innen der Szene. Viele von ihnen präsentieren in ihren Arbeiten eine sehr konservative Art und Weise, all diese Fragen zu behandeln. Ich frage mich, was es für einen Sinn hat, Natur- und Umweltthemen mit einer konservativen Geisteshaltung anzugehen? Die Natur ist queer! Das bourgeoise und klassische Bild der Natur hat ausgedient. Die Natur ist jetzt eine penetrierte Natur. Es gibt nichts Heiliges mehr an der Natur.

Welche Ideen, Fragen und Zweifel im Hinblick auf den Begriff der Natur tauchen während deiner Tour mit Natural Drama auf?

Ich interessiere mich für Tanzgeschichte. Isadora Duncan, eine der wichtigsten Künstlerinnen im westlichen Tanz, hat ein Bild von „freiem Tanz“ geprägt, das eine starke Verbindung zur Natur aufweist. Ich frage mich, was das heute bedeutet. Und welche Art von Freiheit damit gemeint ist. Was ist diese freie Bewegung?
Im Westen wird immer die Frage gestellt, wer tanzen kann, welcher Körper tanzen kann. Das ist immer noch sehr wichtig und ich mache damit persönliche Erfahrungen. Beispielsweise habe ich meine Arbeiten auf renommierten Festivals und internationalen Spielorten gezeigt, die dann keine Bilder online und auf Social Media nutzten, auf denen mein trans* Körper zu sehen war.
Seitdem immer mehr Länder im Westen rechts und super-faschistisch geworden sind, habe ich das Gefühl, dass Körper wie meiner tendenziell stärker zensiert werden. Wohingegen der öffentliche Diskurs zu Themen wie Freiheit sich auf Länder wie den Iran konzentriert, um ein ganz bestimmtes Bild von Freiheit aufrechtzuerhalten, das dann weltweit verbreitet wird.
Die Frage danach, welcher Körper tanzen kann, ist mit Technik und Tanzausbildung verknüpft. Das interessiert mich, da ich, bezogen auf meine Herkunft und Prägung, eine völlig andere Perspektive einnehme, wenn ich Tanz analysiere oder eine Choreografie ansehe. Ich spreche von „meiner Herkunft“ und eher nicht von „meiner iranischen Herkunft“, denn die kann für iranische Personen eine ganze Reihe unterschiedlicher Konnotationen mitbringen.
Tanz ist für mich sehr mit dem Bereich des Immateriellen verknüpft. Tanz ist auf seine Art eben nicht so materiell, dass ein Buch über all die Linien, die ein Körper im Raum zieht, geschrieben werden könnte. Es geht vielmehr um Energie, und auch um körperliche Trancezustände. Was die Frage danach angeht, welcher Körper tanzen kann, so verschiebt die Schwerpunktsetzung auf die immateriellen Aspekte im Tanz die Aufmerksamkeit weg von Ästhetiken der Schönheit und europäischen, weißen Körpern, die ohnehin immer gleich und eher langweilig aussehen. In Natural Drama wollte ich auch mit der Stimme arbeiten. Ich bin in einem Prozess, meine Stimme zu suchen, und mit ihr die Ästhetik, die ich um sie herum schaffen möchte. Wir haben viel zum Thema Zerbrechlichkeit und zum Vermögen der Stimme gearbeitet, auch, weil ich kein ausgebildeter Sänger und eine trans* Person bin, was bedeutet, dass sich meine Stimme ebenfalls in einem Veränderungsprozess befindet. Mit meiner Stimme stelle ich das klassische und konservative Verständnis von Schönheit und Kunst in Europa in Frage. Für mich ist die Frage entscheidend, ob etwas für mich schön klingt. Denn für eine lange Zeit waren es weiße, Cis-Personen aus den herrschenden Klassen, die die Macht hatten, darüber zu entscheiden, was sie sehen wollten und was schön sei. Daher stehe ich in meiner Arbeit dafür, dass ich kreiere, was ich sehen will. Ich erschaffe nicht das, was sie sehen wollen, denn ich weiß ja, was sie sehen wollen. Und es ist auch nicht so, dass ich das nicht herstellen könnte. Ich glaube, dass kann jede*r fertigbringen. Als Choreograf*in musst du dafür vor allem professionelle Tänzer*innen zusammenbringen, die du sehr, sehr gut bezahlst, und dann kreieren sie ein Stück, das die meisten bourgeoisen Menschen ihr ganzes Leben lang sehr schätzen werden. Was ich als Künstler sehen möchte, betrifft auch die Frage nach Generation. Es fehlt an jungen Künstler*innen, die den Mut haben, Stücke zu produzieren, die Sinn für ihre eigene und für kommende Generationen hervorbringen – Stücke, die Veränderungen im ganzen Feld des Tanzes bewirken könnten.

Wie würdest du deine Herangehensweise an Bewegung in diesem Stück beschreiben?

Meine Herangehensweise an Bewegung steht in engem Zusammenhang zu meiner Herangehensweise an Sprache und Stimme. Meine Choreografien drehen sich sehr stark darum, verschiedene physische und geistige Haltungen zu verkörpern. Ich bin an dem Vorgang, von Neuem in unterschiedliche körperliche Zustände einzutreten, interessiert. Ein Wiedereintritt in einen bestimmten Zustand aus dem Alltag, oder in eine Situation, an die sich der Körper erinnert, beispielsweise unter Einfluss von Drogen oder ein anderer Zustand körperlicher Intensität. Man kann in diese Zustände neu eintreten und sie in einer Choreografie verwenden. Ich nutze meine Vorstellungskraft, um an Bewegungen zu arbeiten, die solche Bilder und Sinneseindrücke wieder aufrufen.

Was bereitet dir Freude („Joy“), wenn du in Natural Drama performst?

Natural Drama aufzuführen fordert mich ziemlich heraus, denn es ist ein sehr frontales Stück. Gegenüber dem Publikum fühle ich mich recht nackt, obwohl ich nicht im körperlichen Sinne nackt bin (Ich meine so etwas wie eine zweite Haut zwischen Nacktheit und Bedecktsein). Ich bin allerdings sehr ausgeliefert. Meistens führen mich meine Stücke an einen Ort, der recht exponiert ist. Das ist herausfordernd, und ich glaube, ich mag diese Herausforderung. Denn, so empfinde ich das, obwohl ich ausgeliefert und auch zerbrechlich bin, dominiere ich das Publikum. Das finde ich interessant.

Das Bühnenbild von Natural Drama erscheint im Bühnenraum wie eine Installation. Was ist die Idee hinter der Poetik des Bühnenbilds?

Das Bühnenbild dieses Projekts hat seinen Ausgang als kollektive Vorstellung von vier Menschen genommen: Von Szenografin Alicia Zaton, Lichtdesigner Yannick Fuassier, Dramaturgin Lynda Rahal und mir. Gemeinsam haben wir den Raum erschaffen. Wir haben viel über die Bedeutung von Binaritäten nachgedacht, und es ist schwer, ihnen zu entkommen. Aber man kann auch nicht so tun, als gäbe es sie nicht, und als müssten wir uns nicht mit ihnen auseinandersetzen. Also haben wir uns entschlossen, dieses Thema direkt anzugehen. Durch dieses Bühnenbild versuchen wir, auf eine Art, diese binäre Welt, in der wir leben, zu zitieren. Deshalb haben wir die Podeste im Raum aufgestellt, die die Szene in verschiedene Sektionen teilen. Ich kann am Bühnenrand spielen, nah am Publikum, auf den Podesten, und auch hinten auf der Bühne. Ich kann damit spielen, etwas sichtbarer zu machen und etwas anderes weniger sichtbar. Das eröffnet eine Art Panorama. Zusätzlich kann ich damit spielen, meinen Körper größer oder kleiner erscheinen zu lassen. Wenn ich also nah am Publikum auf den Podesten bin, bin ich sehr groß und schroff und sehr dominant. Und an anderen Stellen im Stück bin ich weit weg, und klein. Durch dieses Bühnenbild kann ich an sehr unterschiedlichen Ebenen der Beziehung zu meinem Publikum arbeiten. Diese Aufstellung bezieht sich auch auf das klassische Theater und die Aufteilung in avant-scène und arrière-scène, wobei avant-scène den Bühnenvordergrund und arrière-scène den Bühnenhintergrund meint. Mit dieser Unterscheidung waren bestimmte künstlerische Überlegungen verbunden, wie diese beiden Orte im Theater zu nutzen seien. Wenn etwas „Obszönes“ geschehen sollte, beispielsweise etwas, das mit Sexualität zu tun hatte, so sollte das niemals avant-scène gebracht werden, sondern immer arrière-scène. Avant-scène und arrière-scène schufen eine Ordnung, die sich auch sehr aus der bourgeoisen Geisteshaltung speiste, und aufgrund derer man entschied, was dem Publikum gezeigt werden konnte, und was verdeckt bleiben musste, was nur auf versteckte Weise zum Vorschein kommen durfte. Sehr früh in der Arbeit kam in mir der Wunsch auf, einen Vorhang aus Haaren für die Show zu nutzen. Am Ende entschieden wir, dass es blondes Haar sein sollte, um ein fließendes Bild von Eis und Kälte zu erzeugen. Für mich war das auch eine Reflexion über blondes Haar, das auch ein Symbol für weißen Feminismus sein kann. Zusätzlich verbinde ich blondes Haar mit Isadora Duncan, obwohl sie dunkle Haare hatte, aber das ist mir hier egal, denn sie war eine weiße Frau. Ich weiß, das zu hören ist für weiße Frauen sehr langweilig, denn sie wollen meist die Opfer von allem sein. Sie mögen es nicht, wenn man sie hinterfragt, denn sehr oft gehen sie davon aus, dass sie über keinerlei Privilegien verfügen. Aber Haar bleibt selbstverständlich ein vielseitiges Symbol. Haar kann als Symbol für Weiblichkeit gelesen werden. Aber es ist auch ziemlich queer. Für andere Menschen beziehen sich Haare gar nicht so sehr auf spezifische Geschlechtsidentitäten. Es gehört nicht zu weißem Feminismus, es gehört nicht zu Weiblichkeit, es gehört nicht zu Männlichkeit, es gehört nicht ausschließlich zum Menschen. Haar gehört zur Natur und bringt sehr unterschiedliche Vorstellungen und Möglichkeiten mit sich.

Natural Drama ist ein Solo. Savušun, ein weiteres Solo, hast du 2021 am tanzhaus nrw präsentiert. Außerdem ist deine erste Arbeit, Subject to Change, ebenfalls ein Solo. Was interessiert dich an Soloarbeiten, und welches Verhältnis hast du zu ihnen?

Ich bin ein junger Künstler, und ich möchte in meinen Stücken viel ausprobieren. In meiner Arbeit muss ich etwas fühlen und mich auf etwas einlassen. Und ich glaube, dass ich Dinge wirklich selbst erleben muss, mit meinem eigenen Körper, um herauszufinden, was mir künstlerisch wichtig ist. Selbstverständlich arbeite ich auch mit anderen Künstler*innen zusammen, und das ist meistens eine große Unterstützung. Aber ich denke doch, dass ich mich sehr viel auf meine eigene Kreativität verlasse, auf meine eigene ästhetische Praxis und meine eigenen Ideen. Zudem, ganz praktisch gesprochen, muss man im Tanzbereich sehr viel Arbeit aufwenden, um für sich und die eigene Arbeit Raum zu schaffen. Du kannst nicht aus dem Nichts auftauchen und eine Gruppenshow machen. Das funktioniert wirtschaftlich nicht. Niemand wird dich unterstützen. Auch nach so vielen Jahren der Arbeit in diesem Bereich bleibt es oft schwer, so etwas wie ein großes Stück mit vielen Tänzer*innen zu schaffen. Selbstverständlich kann man, sobald man über Geld verfügt, eine Menge Leute und deren Kreativität bezahlen. Nach all den Jahren werde ich sehr bald meine erste größere Show mit mehreren Performer*innen realisieren. Einen ersten Eindruck davon konnte ich während meiner Residenz im Palais de Tokyo im letzten November bekommen. Das war eine gute Zusammenarbeit, und ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Also dachte ich, in Ordnung, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein Gruppenstück zu produzieren.

Welche Zukunftsvisionen liegen im Dialog mit Isadora Duncan und Zahara Khanom Taj Saltaneh?

Die beiden führen keinen Dialog miteinander. Das Stück ist ein Dialog zwischen mir und den beiden in einer parallelen Welt, oder vielleicht in der Zukunft. Als trans* Person bin ich es gewohnt, in Parallelwelten zu leben. Manchmal fragen Menschen sowas wie: „Gibt es dich überhaupt?” Klar, in einer Parallelwelt, weißt du. Vielleicht nicht in deiner Welt, aber ich existiere.
Von daher war ich bei Isadora Duncan und Taj Saltaneh daran interessiert, eine Reflexion zweier Geschichten mit sehr unterschiedlichen Betrachtungen des Körpers, zu Feminismus und der Art, wie wir an unterschiedlichen Orten kämpfen, aufzunehmen. Taj Saltaneh lebte im Iran. Sie hat die Welt nicht bereist, und damals gab es noch keine Migrationsbewegungen, wie wir sie heute kennen. Isadora Duncan hat auf einem ganz anderen Flecken Erde gelebt, mit ihrem eigenen Erbe und eigenen Wurzeln, die sie in der griechischen Kultur und in Europa gesucht hat. Sie war an einem Bild von Freiheit in Verbindung mit Natur interessiert. Ich denke der Begriff von Natur muss neu bestimmt werden. Ich glaube in die Pluralität von Naturen. Außerdem hatte sie einen sehr religiösen, sehr katholischen Hintergrund und hat sich viele Elemente aus traditionellen Tänzen aus dem Osten angeeignet. Aber dennoch haben beide, in sehr unterschiedlichen Umgebungen, für mehr oder weniger dieselben Rechte gekämpft.

Sorour Darabi trägt einen beigen Body und hält mit seinen Händen eine lange, blonde Perücke in die Höhe. Ein Teil der Perücke befindet sich im Mund der*des Performer*in.

Sorour Darabi

Natural Drama
Fr 15.09. + Sa 16.09.