Backstage mit Neda Ruzheva (TREVOGA)

Portrait des Kollektivs TREVOGA. Die vier Mitglieder sitzen nebeneinander auf dem Boden und schauen in Richtung Betrachter*in.

Neda, du bist Teil des Amsterdamer Tanzkollektivs Trevoga. Wer steckt hinter Trevoga, und wie habt ihr zusammengefunden?

Alle, die jetzt Trevoga sind, stecken hinter Trevoga. Angefangen hat alles mit Antonina Puschkarewa und mir. Wir haben uns an der Akademie für Theater und Tanz in Amsterdam kennengelernt. Das haben wir beide wirklich sehr gehasst, denn im Rahmen unseres Studiums mussten wir diese klassische hierarchische Einteilung in Choreograf*innen und Tänzer*innen als eine Art Rollenspiel durchziehen. So wollten wir nicht arbeiten. Wir haben während der Pandemie unseren Abschluss gemacht, daher hatten wir viel Zeit, darüber nachzudenken, wie wir arbeiten wollen, wie wir zusammenkommen wollen. Es ist ein bisschen wie bei den Tarotkarten, mit dem auf dem Kopf stehenden Symbol, das neue Ideen zulässt. Schnell kamen wir auf die Idee, ein Kollektiv zu gründen. Wir sind auf einen offenen Aufruf des International Choreographic Arts Centre in Amsterdam gestoßen – und wir haben einfach so getan, als gäbe es das Kollektiv bereits, und schrieben eine Bewerbung. Wir haben dort dann eine Residenz erhalten und Erikas Žilaitis eingeladen, ein Teil davon zu werden. Dort haben wir mit der Arbeit an unserem ersten gemeinsamen Stück angefangen. Jetzt haben wir ein neues Mitglied, Dovile Krutulyte, das sich uns für das nächste Stück anschließt.

Der Name eurer Website lautet "trevoga bedeutet Angst", und visuell spielt ihr mit einer düsteren, gothic-artigen Ästhetik. Das hat mich beeindruckt. Wie ist eure Beziehung zur Angst? Auf wessen Angst bezieht ihr euch?

Das bulgarische Wort trevoga bedeutet Angst. Zuerst war es ein wenig ironisch gemeint, weil wir alle soziale Ängste haben und uns entschieden haben, sie einfach anzunehmen. Aber es steckt noch mehr dahinter. Wir wollten, dass unsere Arbeit eine Art von Angst widerspiegelt, die charakteristisch für unsere Generation, die sogenannte Gen Z, steht. Die Wirtschaft steckt in der Rezession, der Wohnungsmarkt in der Krise, es gibt soziale Spannungen und immer mehr bewaffnete Konflikte – für uns ist die Zeit, in der wir leben, ziemlich beängstigend. Unser Kollektiv so zu benennen, ist ein Versprechen, das wir uns gegenseitig gegeben haben, diese Gefühle nicht zu verbergen, uns nicht zu verschließen, sensibel zu bleiben und diese Gefühle in unseren Stücken auszudrücken. Unsere Probleme oder Ängste sind nicht persönlich. Wir sehen sie als systemisch an, und nur, wenn wir zusammenarbeiten, können wir anfangen, über Alternativen nachzudenken.

Ich interessiere mich besonders für euer Körperbild respektive den Körper in eurer Arbeit. Ihr haltet fest: "Für Trevoga ist der weiße kapitalistische Körper kein Tempel – er ist ein verlassenes Einkaufszentrum voller Konsumrelikte, synthetischer Chemikalien und sexuell suggestiver Bilder." Das ist ein kraftvolles und aufwühlendes Bild. Wie gehst du choreografisch und ästhetisch mit dieser Schlussfolgerung um?

Wir haben einen sehr interessanten Gegensatz in uns selbst gefunden, der diese Aussage und einen Großteil unserer Arbeit inspiriert. Wir fühlen uns so voll, so überladen mit Informationen, Bildern und Chemikalien, dass wir uns im Grunde leer fühlen. Wir sind etwas abgestumpft, so voll, dass wir wie betäubt sind. In dem Stück 11 3 8 7 gibt es diese Figuren, die visuell sehr komplex sind, sie glänzen, sie sind sehr ausgefeilt, sie changieren zwischen menschlichen und anderen Dingen, sie verfügen über diese Prothesen, diese perfekten Details, aber da ist diese Leere in ihnen und in der Art und Weise, wie sie ihre Handlungen ausführen. Wir haben speziell daran gearbeitet, Partituren zu schaffen, die uns in einen Zustand versetzen, in dem wir uns so weit wie möglich von den Bewegungen, die wir ausführen, lösen können. Wir haben besonders versucht, diese Leere, die wir fühlen, darzustellen. Das hat viele Menschen wütend gemacht, aber das ist in Ordnung. Leute, die sich mehr für traditionelle Tanzszenen interessieren, meinten, das Stück sei leer, dass es keine Emotionen gebe. Dem können wir nicht zustimmen; es ist voller Emotionen. Ich denke, wer eine 12-Stunden-Schicht im Service gearbeitet und dann 5 Stunden lang auf dem Handy gescrollt hat, weiß, dass diese Leere voller Emotionen ist. Als eine Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, sehen wir so viele Repräsentationen eines Lebens, dass wir fast zu Beobachter*innen am Rande des Lebens werden. Wenn du so überlastet bist, ist es manchmal schwer, dich mit dem verbunden zu fühlen, was du erlebst.

Eure Arbeiten sind visuell und bewegungstechnisch sehr spezifisch und eigenwillig – Kostümbild, Make-up und Szenografie sind wichtige Elemente. Ich erkenne Bezüge zu digitalen und Popkultur-, auch zu kommerziellen Bildwelten und -Ikonografien. Was inspiriert euch? Woran arbeitet ihr, oder worauf arbeitet ihr hin?

Ich denke, wir sind sehr angeregt, im Guten wie im Schlechten, von den Kontexten, in denen wir aufgewachsen sind. Wir sind alle in Osteuropa aufgewachsen, in einer Zeit des Übergangs, wir sind mit einer Flut von US-Medien groß geworden; buchstäblich alles, was jemals produziert und nicht bereits in diesen Teil der Welt exportiert worden war, kam auf uns zu. Wir sahen all diese schönen Bilder, und sie passten nicht zu unseren eigenen Erfahrungen und Umgebungen, und ich denke, das hat eine besondere Art von Humor in uns erzeugt. So viele Dinge inspirieren mich. Ich tauche gerne ins Internet ab, um dort die abstoßendsten und verwirrendsten Momente dieser Hyperrealität zu finden. Ich finde es spannend, diese Momente als Reflexion der komplexen Gegenwart, in der wir leben, auf die Zuschauer*innen zurückzudrehen. Und Bemühungen des Widerstandes inspirieren mich. Ich mag es, wenn die Wurzel eines Baumes so stark wird und wächst, dass sie das perfekte Pflaster bricht, das darüber gebaut wurde.

Lass uns noch etwas mehr über das Gastspiel im tanzhaus nrw sprechen. Das Stück 11 3 8 7 war – wie du schon gesagt hast – euer Debüt als Kollektiv, und ihr seid damit in der Tanzszene durchgestartet. 11 3 8 7 wurde in die Top 20 des European Aerowaves-Netzwerks gewählt. Das Erste, was mir in den Sinn kommt, ist, dass die Titel eurer Stücke sehr kryptisch wirken. Wofür steht die Zahlenreihe 11 3 8 7, die den Titel des Stückes bildet?

Es ist ein Code. Es ist kryptisch, weil wir wollten, dass es in den Programmen auffällt. Wenn man viele Titel sieht und dann plötzlich diese Zahlen, dann wird man neugierig: Was ist das? Wie soll ich das lesen? Wer traut sich denn, einem Stück so einen Titel zu geben? Der andere Grund ist, dass wir noch zu schüchtern waren, unsere Gefühle zu zeigen und unsere Meinung zu sagen. Ein Code hat es uns trotzdem möglich gemacht. 11 3 8 7 ist eigentlich eine Möglichkeit, das englische Wort für Fleisch, meat, mit Zahlen zu schreiben; 11 ist M, 3 ist E, 8 ist A und 7 ist T. Das passierte ein bisschen wie ein Insider-Witz, denn als wir uns diesen Titel ausgedacht haben, kamen wir alle frisch von der Hochschule und konnten immer noch nicht darüber hinwegkommen, wie sehr sich die Welt um uns herum um Profit dreht und wie sehr sich unsere Körper um Profit drehen. Als Tänzer*innen fühlten wir uns, als wären wir käufliches Fleisch, Arbeitseinheiten, Nummern eines Algorithmus, wir fühlten uns, als wären unsere Körper buchstäblich programmiert. Wir haben einen Weg gefunden, dieses Gefühl auch in der Performance anzusprechen. Zu dieser Zeit war dieser NPC – non-playable character – auf TikTok im Trend. Die Leute ahmten Figuren aus Videospielen nach. Für uns war das eine sehr merkwürdige Rückkopplungsschleife. Du imitierst etwas, das dich nachahmen soll. Irgendwo ist diese Imitation der Nachahmung dabei verzerrt und ziemlich unheimlich. 11 3 8 7 beschäftigt sich mit all diesen Themen, mit denen wir nie zurechtgekommen sind. Die algorithmische Funktion von allem, was uns umgibt, die Kommodifizierung unserer Körper, die verzerrten Bilder der Welt und von uns selbst, die hohen Erwartungen, die damit einhergehen. Wie schwer ist es für uns, damit fertig zu werden? All die Gewalt, die irgendwie durch die Maschen dieser wunderschönen Darstellungen schlüpft.

Ihr lasst euch also von aktuellen Gefühlszuständen inspirieren und beschäftigt euch stark mit Atmosphären, gesellschaftlichen Befindlichkeiten und Phänomenen, die sehr aktuell sind – was möchtet ihr dem Publikum vermitteln?

Wir haben das Gefühl, dass die Zeit, in der sich Künstler*innen mit abstrakten Konzepten und universellen Wahrheiten auseinandergesetzt haben, vorbei ist. Wir glauben, dass wir unsere persönlichen Erfahrungen mitbringen, und wir haben die Mythen, Geschichten, die uns überliefert wurden. Wir haben unser emotionales Gepäck und unsere Befindlichkeiten. Wir sehen unsere Körper tatsächlich als Symptome der verschiedenen physischen und symbolischen Umgebungen, in denen sie aufgewachsen sind. Wir drücken unsere persönlichen Gefühle in unserer Arbeit aus und versuchen, sie mit den vielen Prozessen zu verbinden, die den Zeitpunkt ausmachen, zu dem wir leben. Indem wir zusammenarbeiten und die unterschiedlichen Erfahrungen des*der anderen kennenlernen, verstehen wir unsere eigenen besser. Das ist es auch, was wir uns für die Zuschauer*innen wünschen, dass sie sich selbst sehen, in Resonanz treten und etwas Neues finden, neue Geschichten, um das Skript zu verändern, das uns verbindet.

Ihr habt 11 3 8 7 in verschiedenen Variationen für unterschiedliche Spielstätten – Bühnen und Ausstellungsräume – entwickelt. Du hast gerade erwähnt, dass ihr die Abstraktion von Kunst in Frage stellt – aber ihr performt in den White Cubes und Black Boxes von Museen und Theatern. Wie verhaltet ihr euch zu diesen vermeintlich neutralen Infrastrukturen der Kunst, und wie bewegst du dich darin? Welche Art von Beziehungen baut ihr zu den Zuschauer*innen auf?

Wir sind definitiv nicht die Art von Künstler*innen, die Vorurteile gegenüber Kunstinstitutionen haben. Wir verwenden viele Bezüge zur Kunst und zum klassischen, zeitgenössischen und postmodernen Tanz. Was wir tun, steht nicht im Gegensatz zu diesen Traditionen, es handelt sich eher um eine Erweiterung dieser Geschichten. Wir ergänzen bestehende Gespräche. Wir gehen sehr spielerisch mit den Formaten um; Wir lassen uns gerne von den verschiedenen Räumen inspirieren. Wir gestalten jede Show immer ein bisschen ortsspezifisch und sind sehr gespannt auf die Version für das tanzhaus nrw in Düsseldorf. Ich denke, es wird unsere beste Version sein – wir haben die Choreografie komplett überarbeitet. Das Publikum kann überall um uns herum sein; sie können uns sehr nahekommen. Der Make-up-Prozess ist so kompliziert – und wenn man das aus der Nähe betrachtet, kann man sehen, wie der Körper unter all den Prothesen, den Chemikalien schwitzt, wie die Augen wegen der Kontaktlinsen tränen. Das ist etwas Besonderes. Wir öffnen uns mehr.

Die Frage ist ein bisschen banal, aber mich würde sehr interessieren, wie lange ihr für das Make-up braucht.

Das dauert vier Stunden! Der Auftritt selbst dauert dann zwar nur 30 bis 40 Minuten, so lange dauert aber die Zeit in der Maske. Was ich vorhin über diese Zustände des Getrenntseins und der Abgestumpftheit gesagt habe – ich denke, dieser ganze Prozess der Vorbereitung auf das Stück ist schon eine psychosomatische Erfahrung an sich.

Hier berührst du mein nächstes Thema. Das Stück 11 3 8 7 ist Teil des Programmschwerpunkts dances of transgression. Was macht eure Arbeit transgressiv, grenzüberschreitend? Ist das eines eurer ursprünglichen, grundlegenden Ziele?

Absolut. Ich denke, es gibt viele Arten, wie wir uns auf Transgression beziehen. Wir mischen viele Genres; wir pflegen eine sehr visuelle Hinwendung zur Choreografie. Wir haben alle einen tänzerischen Hintergrund, aber im Grunde wollten wir mehr Performance machen. Alles, was wir erschaffen, verwischt diese ganzen Grenzen. Wir mischen kommerziellen Tanz mit Ballett, mit schwerer Theorie und mit unserem Humor, so dass wir gerne die Tiefen vieler stiller Konventionen, nicht nur in der Choreografie, ausloten. Was wir auch von Anfang an verwischen wollten, ist diese Trennung in Choreograf*in und Tänzer*in. Ich denke, in dem Moment, in dem wir die Art und Weise des Produzierens ändern, beginnen sich auch all die Dinge, die sich etabliert haben, aufzulösen. Wir hoffen, dass unsere Methodik das transgressivste Element unserer Arbeit bleibt. Und was die Erfahrung unserer Performances angeht, bin ich mir sicher, dass das Publikum uns mehr darüber verraten kann, was transgressiv ist. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir alle transgressiver werden, denn es gibt so viele Dinge, die aufgebrochen und verlernt gehören.

Du hast vorhin eure gemeinsamen osteuropäischen und postsozialistischen Sozialisationen erwähnt. Wie macht ihr diese Perspektiven in eurer Arbeit produktiv? Greift ihr in bestimmte Geschichtsschreibungen oder Traditionen ein?

Ich denke, diese Frage ist im Zusammenhang mit Transgression, über die wir gerade gesprochen haben, sehr interessant. Die osteuropäische Perspektive markiert die Grenze zwischen zwei verschiedenen Welten, der westlichen und der sogenannten nicht-westlichen. Wenn man sich jede Grenze genauer ansieht, stellt man fest, dass nichts festgelegt ist, es ist verwirrend und Teil vielschichtiger, eklektischer Prozesse. Es wird viel mehr als eine Theateraufführung brauchen, um diese Zusammenhänge vollständig zu entschlüsseln. Es braucht viel Input von Freund*innen und außereuropäische Perspektiven. Aber für den Moment drückt es sich in unserer Arbeit folgendermaßen aus: Wir teilen dieses grundlegende Gefühl der Enttäuschung oder eher der Auflösung. Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, in der unsere Länder auf einen Neuanfang gehofft haben, der die Gesellschaften von der gewaltsamen Überwachung des Sowjetregimes befreien sollte. Aber es stellte sich heraus, dass der westliche Kapitalismus nicht das war, was sich die Menschen erhofft hatten. Die Überwachung ist immer noch da, sie ist nur subtiler und kontrolliert weniger offensichtlich. Diese Utopie des Überflusses und des Hedonismus birgt ihre eigenen Probleme. Ich nenne mal ein Beispiel aus dem bulgarischen Kontext. Das Erste, was dort auftauchte, waren Versicherungsbetrügereien, illegale Immobiliengeschäfte, unregulierter Tourismus, abgeholzte Wälder, Kanalröhren von Fabriken, die direkt in die Flüsse oder ins Meer führten. Wenn man die Generation meiner Eltern fragt, wird sie sagen, dass wir die westliche Kultur oder Demokratie einfach nicht richtiggemacht haben, aber wenn man mich fragt, sind diese Praktiken genau die Grundlage der Wirtschaft im Westen, die wir nachzuahmen versuchten. Es gibt diese Hintergrundspannung zwischen der Phantasievorstellung, auf die alle gehofft haben, und der viel unbequemeren Realität, die sich tatsächlich eingestellt hat. Mit Trevoga versuchen wir, das ästhetisch zu verarbeiten. In unseren Stücken gehen schrille Popkultur-Tropen Hand in Hand mit diesem sehr profanen Gefühl des Unbehagens und des langsamen Verfalls. Das ist es, was wir für die Zeit jetzt gefunden haben, und wir denken immer noch weiter darüber nach. Wir alle sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass das, was im Westen passiert, die reale Welt ist und dass wir etwas Unauthentisches oder weniger Entwickeltes erleben. Ich denke, um zu verstehen, was die osteuropäische Perspektive ist, müssen wir das erst einmal verlernen. Dabei handelt es sich um langen Prozess. Für das nächste Stück werden wir zum Teil in Zusammenarbeit mit bulgarischen und litauischen Institutionen produzieren. Dies ist ein Schritt, um wieder ein Stück weit aus Westeuropa herauszukommen. Es gibt keine einfache Lösung; du versuchst und probierst einfach weiter.

Kannst du genauer beschreiben, was eure Art der Zusammenarbeit als Kollektiv auszeichnet? Welche Werte vertretet ihr, und kämpft ihr auch für strukturelle Veränderungen in Arbeits- und Produktionskontexten?

Wie ich schon sagte, waren wir wirklich wütend über die Art und Weise, wie die Körper der Tänzer*innen vom Endprodukt abgekoppelt sind. In großen Kompanien können sie oft nur ausführen. Ich denke, dies spiegelt ein größeres Problem in der Struktur des weltweiten Marktes wider. Die Menschen, die die körperliche Arbeit verrichten, sind von den Endprodukten getrennt. Wir dachten, wenn wir uns weigern, dieses Modell in der Größenordnung eines choreografischen Kollektivs zu reproduzieren, dann setzt es hoffentlich einen Impuls, der Widerhall im Tanzbereich findet und der vielleicht sogar andere zu inspirieren vermag. Das Wichtigste für mich ist, dass wir Wege finden, wie die Menschen ihr Einverständnis zu Vorgängen, die ihre Körper betreffen, geben können und in denen das Endprodukt des Prozesses mit ihnen in Resonanz geht, mit dem, was sie sind und was sie sagen wollen, und mit den Geschichten, die ihre Körper in sich tragen.

Als abschließende Frage interessiert mich, was ihr als aufstrebende Künstler*innen braucht und euch wünscht, um gut arbeiten zu können.

Das ist definitiv eine schwierige Frage im Moment, da die Regierungspolitik immer restriktiver gegenüber der Kunst wird. Vor allem gegenüber live aufgeführter Kunst und gegenüber Kunst, bei der ein Zusammenkommen ohne Profitgedanken im Mittelpunkt steht. Vielleicht ist es eine unpopuläre Meinung unter Künstler*innen, aber ich denke, die Institutionen haben uns unterstützt, und sie haben es schwer, weil sie zwischen der Regierungspolitik und dem Bereich der Künste vermitteln müssen. Ich denke aber auch an unsere Anfänge. Als wir unsere erste Arbeit machten, fehlte uns der Input früherer Generationen, jemand, die*der uns einen Rat hätte geben können. Weil das gesamte Feld Tanz sehr kompetitiv strukturiert ist und es eine Menge Gatekeeping von Informationen und Ressourcen gibt. Wenn du hart genug bist, den ersten Schritt zu machen, obwohl alle versuchen, alles vor dir zu verbergen, dann wirst du arbeiten können. Bist du das nicht, solltest du es vielleicht besser lassen. Das ist eine sehr traurige Erkenntnis für junge und motivierte Menschen. Wir wollen für die nächsten Generationen von Tanzschaffenden da sein. Wir wollen mit ihnen und mit den Institutionen darüber nachdenken, wie wir die Kommunikation zwischen den Generationen fördern und kollaborativer sein können. Ich bin fest davon überzeugt, wenn wir Spaß haben und an das glauben, was wir tun, dann werden auch die Zuschauer*innen in größerer Zahl kommen. Vielleicht sollten wir jetzt alle unsere Kräfte gegen die autoritäre Politik der Regierungen bündeln. Ein gemeinsamer Feind bringt bekanntlich zusammen. Da die Politik so feindselig ist, werden wir vielleicht alle freundlicher miteinander umgehen. 

Hoffentlich ist das der Fall. Wir müssen dafür sorgen, dass das Feld durch den autoritären Shift und die Kürzungen nicht eklatant an Vielfalt einbüßt. Aber ich möchte etwas zu einem Punkt hinzufügen, den du vorhin angesprochen hast. Im tanzhaus nrw arbeiten wir eng mit Künstler*innen der sogenannten Urbanen Tanzszenen zusammen, und in diesen Tanzkulturen ist die Unterstützung untereinander und der jüngeren Generationen sehr wichtig – sharing is caring ist einer ihrer Slogans. Wir arbeiten auch mit queeren Künstler*innen zusammen, die eigene Netzwerke und Arbeitsstrukturen aufgebaut haben, die unterstützend und ermächtigend sind. Ich denke also, dass sich die Dinge ändern, zumindest hier.

Das bringt uns zu einem meiner Geheimnisse! Ich komme ursprünglich aus dem Breakdance in Bulgarien. Und obwohl ich zeitgenössischen Tanz liebe, hatte ich das Gefühl, dass ich dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Gemeinschaft, so sehr vermisste. Deshalb wollte ich das in diesem neuen Kontext neu erschaffen. Und übrigens, alle bei Trevoga sind queer. Also stimme ich dir da voll und ganz zu.

Vielen Dank, Neda, für das spannende und aufschlussreiche Interview und dass du dir die Zeit genommen hast.

Neda Ruzheva (BG, 1999) arbeitet als Choreograf*in, Tänzer*in und Bühnenbildner*in – zusammen mit Antonina Pushkareva (RU, 2000), Erikas Žilaitis (LT, 1999) und Dovile Krutulyte (LT, 1998) bildet sie das Tanzkollektiv Trevoga. Das Kollektiv spielt mit kompromissloser Inkohärenz durch Genres, Register und Symbole und nagt dabei an den mentalen Herausforderungen ihres rasanten Lebens, betrachtet ihre Körper als Symptome ihrer zahlreichen Süchte und die Bühne als Mittel, um ihre vielen dissonanten Prozesse und widerstreitenden Kräfte zu entwirren. https://www.trevogameansanxiety.com/

 

Das Interview führte Lucie Ortmann, Dramaturg*in am tanzhaus nrw.

Zwei Menschen küssen sich. Eine Person ist weiblich gelesen, hat eine angeklebte Schweinenase und mit Klebeband eine Handtasche an die Brust geklebt. Die andere Person ist männlich gelesen und hat Hautfarbenes Silikon über seine Brust geklebt.

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Fr 08.11. + Sa 09.11. 20:00