Backstage mit Charlotte Triebus

Portrait von Charlotte Triebus. Sie trägt ihre Haare in einem Dutt und zeigt mit der linken Hand auf etwas.

Hallo Charlotte, du arbeitest als multidisziplinäre Künstlerin aber auch als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Mirevi Lab, einem Forschungsbereich an der Düsseldorfer Hochschule (HSD), mit Fokus auf Mixed Reality und neue Technologie. In deiner künstlerischen Arbeit bewegst du dich an den Schnittstellen von Kunst und Technologie. Lass uns bei den Basics beginnen: Was ist unter Mixed Reality und neuen Technologien zu verstehen und warum ist es interessant diese Felder mit Tanz zu verbinden?

Mixed Reality (MR) meint Situationen, in denen reale und virtuelle Objekte in Echtzeit miteinander interagieren und auch beteiligte Personen mit den Objekten – ob real oder virtuell – interagieren können. MR umfasst das gesamte Realitäts-Virtualitäts-Kontinuum mit Ausnahme von nur Realität und nur Virtualität. Kunst beschäftigt sich häufig mit der Frage nach Realität. Daher ist die Frage nach Realität und Virtualität – und ob diese Unterscheidung überhaupt noch aktuell ist – von besonderer Bedeutung.
Jede Technologie ist ein Ausdruck ihres Zeitgeistes. Als Werkzeug verstanden und eingesetzt, unterscheidet sie sich nicht von einem Hammer, einer Nähmaschine, einem Computer, einem System. In unserem Fall ist es so, dass wir die Technologien in den künstlerischen Prozessen des Tanzes betrachten, mit und an ihnen forschen. Es sind für uns eingebettete Technologien – Werkzeuge, die wir mit Kunst bearbeiten.
So wie im Denken von Walter Benjamin ein Hammer Teil des Körpers wird, gilt das für andere Technologien und Systeme ebenfalls. In der digitalen Realität, die demnach ebenfalls den Körper erweitern würde, wird der Status eines menschlichen Körpers, im Denken von Legacy Russell, nur mehr unterschieden in online und afk (away from keyboard).
Für Tanz und Kunst halte ich die Auseinandersetzung mit der Gegenwart für relevant: was bewegt uns? Was berührt uns? Stellen wir uns diese Fragen heute, dann spielen auch Felder eine Rolle, die digital sind – das Internet, Youtube, Immersion und Interaktion – und Technologien, die wir ganz selbstverständlich nutzen. Dass Tanz sich als Kunstform mit diesen Feldern auseinandersetzt, finde ich somit eine regelrecht zwingende Aufgabe.

Ein Schwerpunkt deiner Arbeit liegt auf der Erforschung des Potenzials der Schnittmenge von Kunst, Tanz und Technologie. Was sind diese Potenziale und wie werden sie in deinen Arbeiten für ein Publikum erfahrbar?

Kunst und Tanz sind lang genug getrennte Diskurse gewesen. Philosophie und Fragestellungen beider Felder haben allerdings Schnittmengen. Künstlerische Forschung – also mittels der Kunst Fragestellungen zu bearbeiten, die sich in Tanz ausdrücken, und die vielleicht sogar digitale Themen verhandeln, kann dementsprechend ein Versuch sein, Schnittstellen zwischen diesen beiden Disziplinen herzustellen. Vielleicht liefert sie auch Gedankenanstöße für das Publikum, oder zeigt Kontexte auf, in denen das Publikum Technologien noch nicht erlebt hat.
Ich finde grundsätzlich den Begriff der Postdigitalität spannend, der die Situation beschreibt, in der sich „analoge“ und „digitale“ Welten nicht mehr voneinander unterscheiden lassen. Ich glaube, dass sich Technologien aus Kunst und Tanz nicht wegdenken lassen, denn allein politische und ethische Fragen sind Fragen, die wir als Gesellschaft aktiv verhandeln sollten, auf die die Kunst aber noch einmal anders hinweisen darf als andere Bereiche.

Was ist der Ausgangspunkt und das Interesse deiner neuen Arbeit Precious Camouflage?

In meiner Arbeit geht es um Agenten (im Sinne von Handelnden), um Konzepte und Systeme, um Sprachen zwischen Agenten. Tanz ist Sprache. In Precious Camouflage geht es um die Fähigkeit der Interpretation zwischen Sprachen – eine sehr menscheneigene Fähigkeit. Im Kontext von Künstlicher Intelligenz stellt sich schnell die Frage, was Intelligenz hier meint. Wann kann von Intelligenz gesprochen werden. KI muss ja interpretieren können. Oder ist es nur die Nachahmung der Interpretation, die uns intelligent erscheint?

Precious Camouflage ist ein Stück für vier Tänzer*innen und mehrere KI-Systeme, die gemeinsam in Kommunikation treten. Alle Agenten auf der Bühne nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Sprachen und Formen um über Körper und Geschehen und Tanz zu sprechen. Gleichzeitig, auch wenn das vielleicht eher unsichtbar bleibt, geht es in meinen Stücken um die Frage nach Agency – ich möchte gerne selbst entscheiden wann ich wie mit Systemen kommuniziere und den Agent*innen die Möglichkeit geben, dasselbe ebenfalls zu tun. Auf einer weiteren Ebene ergeben sich aus der Arbeit auch politische Fragen, die zwar gar nicht beantwortet werden müssen, die aber erst einmal im Raum stehen dürfen als sinnlich fühlbares – man kann auch sagen, es handelt sich um eine fühlbare politische Sinnlichkeit.

Welche Interaktionen und Dynamiken ergeben sich zwischen den Tänzer*innen und den KI-Systemen auf der Bühne?

Die Dynamik auf der Bühne dreht sich um die Frage nach dem Körper und der Bewegung in den Systemen und den Systemen in den Körpern. Es läuft auf die Frage hinaus, wer wen steuert – wer was beeinflusst – wer wen bewegt.
Eine Inszenierung mit KI-Systemen auf diese Weise stellt letztlich die Frage nach dem Verhandeln des Menschseins in Interaktion mit anderen nicht-menschlichen Systemen und der Agency, also der Handlungsfähigkeit des Agenten, innerhalb von diesen Gefügen.

Welche Herausforderungen und Chancen siehst du für das Verhältnis von Tänzer*innen und KI-Systemen in der Entwicklung und der Arbeit an Precious Camouflage?

Ich glaube, dass es für uns grundsätzlich an Verständnis mangelt, wie KI-Systeme funktionieren. Die Ausgangsfragen für die Stückentwicklung waren, wo der Körper in KI-Systemen vorkommt, und wie KI-Systeme sinnhaft in der Kunst eingesetzt werden können. Ich glaube, dass wir den Antworten zu diesen Fragen nähergekommen sind, dass uns diese Ansätze aber auch weiterhin grundlegend beschäftigen werden für die Arbeit mit KI-Systemen per se.
Eine Herausforderung ist zunächst, dass KI-Systeme mit Datensätzen trainiert werden, deren Inhalte stark durch die Institution, die Instanz und die Menschen deren Inhalte verwendet wurden, geprägt sind. Da hierdurch aus einer sehr einseitigen Weltanschauung geschöpft wird, deren künstlerische Verwertbarkeit ich sehr anzweifle, gingen wir dazu über, eigene Datensätze zu erstellen.
Die KI-Systeme auf der Bühne interagieren alle live mit den Tänzer*innen. Dementsprechend ist die Interaktion nur inszenatorisch vorauszusehen, vieles in der Interpretation entscheiden die Systeme. Das ist toll und gewollt, aber fordert ein gewisses Maß an Kontrollabgabe auf der Bühne. Ich glaube, dass das Einlassen auf Technologien eine große Herausforderung, aber eben auch eine große Bereicherung in der Auseinandersetzung darstellt.

Wie läuft der Entwicklungsprozess der KI-Systeme für Precious Camouflage ab?

Ich habe für Precious Camouflage gemeinsam mit dem Mirevi Lab der HSD KI-Systeme entwickelt. Der Prozess gliedert sich in eine Recherchephase, Analyse von existenten KI-Systemen, und Analyse inwiefern das mit Tanz und Kunst nutzbar und vereinbar wäre. Im nächsten Schritt arbeiten wir an Testaufbauten und Entwicklungen von eigenen Systemen, unzähligen Iterationen, Verwerfungen, neuen Ansätzen. Das geht im Idealfall so lang bis wir eigene Systeme haben, die dem künstlerischen Prozess zuträglich sind und die dann zur künstlerischen Weiterentwicklung dienen und auch als Teil eines Stücks mit auf der Bühne stehen.

Sowohl in der Forschung als auch in der Kunst sind es zumeist weiße Männer, die an KI-Systemen forschen oder sich professionell mit den Schnittstellen von Tanz und neuen Technologien auseinandersetzen. Warum ist es wichtig, dass die Personen, die in diesen Bereichen tätig sind, die Realität der Gesellschaft repräsentieren?

Ich sehe es positiv, wenn die Realität der Gesellschaft mit all ihren Facetten abgebildet wird. Aber gerade wenn man von Künstlicher Intelligenz spricht, suggeriert das eine neutrale allumfassende Intelligenz. Das ist fragwürdig, weil jede Künstliche Intelligenz ja menschenkonstruiert und menschentrainiert ist, und somit erst einmal auch nur die Meinungen und Vorurteile der Erzeuger*innen bzw. der verwendeten Systeme und Datenbanken spiegelt. Es wird meiner Meinung nach immer wichtiger, sich dieser so genannten „Bias“ bewusst zu sein und mit ihr umzugehen, sowie Dinge in Kontexten einordnen zu können und verstehen zu lernen, woher sie kommen. Mit dem Wissen, wie KI-Systeme trainiert werden und zusammengesetzt sind, eröffnen sich Möglichkeiten, sich ihre Eigenheiten zunutze zu machen, um sie beispielsweise politisch zu diskutieren und die Erkenntnisse auch in andere Bereiche zu übertragen. Der Bias im Alltag kann man fast nur selbst entgegen steuern – mit divers besetzten Teams, eigenen Datensätzen, Diskussionen zu ethischen Grundlagen und der aktiven Thematisierung der Probleme, ohne dabei die Auseinandersetzung mit KI zu verteufeln.

Du bist die einzige deutsche und neben einer anderen Person die einzige europäische von OpenAI offiziell geförderte Künstlerin. OpenAI ist die Firma, die unter anderem ChatGPT und DALL E entwickelte. Zudem bist du Teil eines unabhängig beratenden Zusammenschlusses von Künstler*innen und Teil der Ethikgruppe bei Open AI. Gibt es im Feld von Ethik und Künstlicher Intelligenz Fragen, die auch in Precious Camouflage verhandelt werden?

Ich würde sagen, dass all die Fragen, mit denen ich in die Runde zu Open AI gehe, auch in dem Stück verhandelt werden, sehr bewusst -oder unterschwellig mitschwingend- gezeigt werden. Precious Camouflage ist als Stück so konzipiert, dass Tanz in den Kontext von KI, und mit ihr, in die ethischen und politischen Dimensionen gesetzt wird. Bei Open AI berate ich an der Seite von internationalen Künstler*innen und Kreativschaffenden zu ethischen und politischen Fragen als externes Organ. Weil die künstlerische Arbeit per se politisch gelesen werden kann, und der Einsatz von solchen Systemen auch automatisch eine ethisch-politische Dimension hat, hat die Auseinandersetzung an dieser Schnittstelle nicht nur eine gesellschaftliche Relevanz im Allgemeinen, sondern auch eine Relevanz die sich dann, in kondensierter Form, in dem Stück Precious Camouflage wiederfindet.

Inwiefern erweitert die Nutzung von KI-Systemen in einer Choreografie das Verständnis von Tanz als künstlerischer Ausdrucksform? Wie beeinflussen solche künstlerischen Anordnungen, die Zukunft der darstellenden Künste?

Ich sehe die darstellenden Künste nicht abgetrennt von anderen Künsten oder von anderen Wissenschaften. Ich denke, dass es in Zukunft viel mehr um Vernetzung geht, von dem voneinander und miteinander lernen. Das sollte im besten Falle disziplinübergreifend sein und unterscheidet sich dann letztlich in der Darstellungsform, oder in der Vermittlungsform. Dass wir ein Stück zeigen, und dazu mithilfe von künstlerischer Forschung tänzerische Impulse in die Wissenschaft zurücktragen können und aus der Kunst heraus entwickelte Technologien auf die Bühne bringen ist eine schöne Art gemeinsam an Themen zu experimentieren.
Neben dem Stück Precious Camouflage arbeiten wir neben weiteren performativen und musealen Arbeiten zum Thema an einem Ethikmanifest, als Angebot und Plattform für die Auseinandersetzung von Kunst und Ethik im Bereich der KI.

 

Die Interviewfragen an Charlotte Triebus stellte unser Dramaturg Philipp Schaus.

Links im Bild steht eine Person auf ihr rechtes Bein gelehnt mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt. Rechts liegt eine Person mit leicht angewinkelten Beinen auf dem Boden, den Oberkörper auf einem Arm aufgestützt. Im Hintergrund zeigen drei LED-Bildschirme ein Bild und zwei Texte.

Precious Camouflage

Do 06.06. (Uraufführung) + Fr 07.06. + Sa 08.06. 20:00