Backstage mit Ana Lessing Menjibar und Isabel Gatzke
Hallo Ana, hallo Isabel, der Entstehungsprozess von Third Skin ist mit einer umfangreichen Auseinandersetzung mit deiner Familiengeschichte verknüpft, Ana. Diesen Prozess, den ihr als Öffnungsprozess bezeichnet, habt ihr beide gemeinsam in Interviews, Gesprächen und Archiven geführt. Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht, was bleibt euch in Erinnerung?
Ana Lessing Menjibar: Am Anfang stand eine Auseinandersetzung mit lebenden Familienmitgliedern in Spanien und Deutschland, mit den Kriegs- und Faschismuserlebnissen, den kollektiven wie individuellen Wunden und den Erfahrungen des politischen Widerstandes dreier Generationen. Allerdings hat der Öffnungsprozess nicht nur innerhalb meiner Familie stattgefunden. Eine weitere Öffnung fand statt mit Isabels Familiengeschichte, eine deutsch-deutsche Familiengeschichte. Uns wurde im Prozess klar, dass wir unsere Recherche und Auseinandersetzung ausweiten müssen. Also betrachteten wir die Umfelder der Familien, sowohl der Gegenwart als auch der Vergangenheit. Wir interviewten Freund*innen, sowie Politgenoss*innen und Aktivist*innen. Anschließend erweiterten wir das Feld noch einmal und trafen auch politisch aktive Menschen im Heute, die sich in Spanien und in Deutschland mit der politischen Vergangenheit und der aktuellen Situation in den beiden Ländern auseinandersetzen. Wir haben dann entschieden, diesen ganzen Prozess noch weiter zu führen und haben uns mit Expert*innen getroffen. Unter anderem einem Psychiater, der sich auf die Arbeit mit politischen Gefangenen spezialisiert hat. So entstand ein Netz aus unterschiedlichen Interviewpartner*innen, die wir dann regelmäßig trafen und auch heute noch treffen.
Isabel Gatzke: Zu Beginn des Prozesses haben wir gemeinsam einen Fragebogen entwickelt, als einen ersten Ansatzpunkt für die Interviews, die wir führten. Der Fragebogen fokussiert den Bereich des Körpers und der Körpererinnerung, der uns sehr interessiert. Die Fragen bilden eine Brücke zwischen der Idee der Öffnung und der Herangehensweise an etwas Geschehenes, und gleichzeitig eröffnet er die Möglichkeit, den Körper und sensorische Erfahrungen mit einzubinden. Wir haben diesen Fragebogen nicht nur für unsere Gesprächspartner*innen entwickelt, sondern auch für uns. Er gibt uns die Möglichkeit auch unsere eigenen Erfahrungen in diesen Gesprächen zu dokumentieren. Beispielsweise gibt es die Frage danach, was wir uns nicht zu fragen getraut haben. Welche Frage ist uns im Hals stecken geblieben? Und Fragen danach, wie es uns anschließend an das Interview ging und was uns selbst in Erinnerung bleibt.
Ana: Es war beeindruckend zu beobachten, wie sehr sich viele Menschen über unser Interesse an ihren Erlebnissen freuten und darüber, dass wir sie interviewten. Gerade Personen, die im Kontext der 60er und 70er Jahre politisch aktiv waren, fanden es spannend, dass wir nicht nur nach historischen Ereignissen fragten, sondern wie sich bestimmte Erfahrungen und Enttäuschungen aus dieser Zeit auf körperlicher Ebene manifestierten. Was sich auch schnell zeigte – in all unseren Interviews – war das Schweigen und Ängste davor, von Ereignissen der Vergangenheit zu sprechen, die mit Schmerz verbunden sind und die teilweise zu traumatisch waren, um sie zu erzählen. Schmerz begegnete uns auch in Zusammenhang mit Enttäuschungen darüber, dass politische Kämpfe geführt wurden, die mit Blick auf unsere gegenwärtige Gesellschaft, als verloren erscheinen. Für mich war es ein sehr persönlicher Moment, als ich im Gespräch mit meiner Tante zum ersten Mal das Ausmaß verstanden habe, in dem ihr verboten wurde, über den Krieg und die Toten in unserer Familie zu sprechen. Ich war die erste, die sie jemals danach gefragt hatte. Es hat sie gerührt, dass ich mit ihr darüber sprach.
Isabel: Als ich mit meinen Eltern das Interview führte, gab es bei beiden eine Erschütterung im Moment des Gesprächs, die sich fortgetragen hatte. Mein Vater und meine Mutter haben mich beide einige Tage nach dem Gespräch nochmal angerufen. Mein Vater, der merkte, dass bei ihm ein Öffnungsprozess passierte und er nicht wusste, wie er damit umgehen soll. Und meine Mutter, die mit mir den Schmerz darüber teilte, dass sie die Fragen, die ich ihr gestellt hatte, ihren Eltern nie stellte. Unsere – Anas und meine – Auseinandersetzung mit der Generation vor uns, hatte sich wie eine Welle fortgesetzt, noch eine Generation zurück. Was mich sehr berührt hat, ist die Materialität der Stimmen. Wir haben die Interviews aufgezeichnet und im Laufe des Prozesses immer wieder reingehört. Es gibt etwas an diesen älteren Stimmen, die über körperliche Erfahrungen des Krieges, der Nachkriegszeit und des Widerstands sprechen. Es hört sich für mich so an, als wären diese Erfahrungen auch in die Stimmen eingeschrieben. In diesem Zusammenhang würde ich gerne über heiße und kalte Erinnerungen sprechen. Das ist ein Konzept aus der Psychologie, das wir im Verlauf unserer Recherche kennenlernten. Der Ansatz kommt aus der Traumatherapie, in der von heißen Erinnerungen gesprochen wird, die sensorisch-perzeptuelle Information speichern. Das sind also Affekte, Gerüche, Geräusche, aber auch körperliche Reaktionen. Kalte Erinnerungen wiederum sind bewusst abrufbare, explizite Gedächtnisinhalte. Mein Eindruck war, dass wir in diesen Gesprächen oftmals diese heißen Erinnerungen der Gesprächspartner*innen berührt haben. Erinnerungen, die keinen festen Ort haben, die aufwühlen, die frei flottieren und noch nicht verpackt und verortet sind.
Ana: Abschließend zu dieser Frage möchten wir gerne einen kurzen Text aus der Performance zitieren, der sich auf diese verschiedenen Arten von Erinnerung bezieht: “They told me their stories while their eyes were travelling in age and time. They told me their stories while touching and pressing their skin. They told me their stories while feeling the power they still have.”
Teil dieses Öffnungsprozesses ist auch der Umgang mit dem Schweigen über Dinge, die geschehen sind und mit der schwierigen und herausfordernden Suche nach einer Sprache für etwas, für das es lange Zeit keine Sprache gab. Wofür konnte eine Sprache gefunden werden und was bleibt verschwiegen?
Isabel: Allein die Art und Weise, wie wir Fragen stellen, produzierte Leerstellen. Als wir den Fragebogen aufsetzten und aus unserer sehr spezifischen Position heraus mit einem klaren Interesse Fragen stellten, verabschiedeten wir uns von der Idee, dass ein Moment des Aufdeckens möglich sei, oder wir an eine Stelle kommen können, an der wir „alles“ erfahren werden. Das ist auch völlig in Ordnung. Solche Leerstellen gibt es, und dann gibt es im Stück Third Skin selbst auch Leerstellen. Es gibt Dinge, die nicht genau benannt werden, es gibt vieles, was nicht explizit gezeigt wird. Als Beispiel dafür eignet sich die erste Szene sehr gut. Sie macht die heiße Erinnerung im Körper deutlich, die Erinnerungen, die pressen, der Körper, der arbeitet. Wir erleben im Stück, wie etwas passiert im Körper. Was nicht gezeigt wird ist beispielsweise explizit Gewalt, die erinnert wurde. Es geht also in Third Skin nicht darum, etwas aufzuzeigen in einem dokumentarischen Sinne, sondern das konkrete Ereignis bleibt die Leerstelle. Was wahrnehmbar wird und was eine Form findet, ist der Nachklang des Ereignisses, das Nachleben der Erinnerung.
Ana: Dazu passt ein weiteres Zitat aus dem Stück: “She is the daughter of two creatures that fought against silence. Against the silence that keeps the feelings inside like intestines. Against the silence that mutes the dead. But the womb is still fertile from which that silence crawled…” Dieser Auszug aus dem Stück spielt auf das Schweigen als eine Leerstelle an, gegen die meine Eltern gekämpft haben. In Bezug auf die faschistische Diktatur in Spanien und die durchlebte Gewalt, existiert immer noch ein großes Schweigen in Verbindung mit dem nicht Aufarbeiten der spanischen Geschichte. Meine Mutter in Deutschland ist in die Konfrontation mit dem Schweigen und den Leerstellen der Nazi-Vergangenheit ihrer Eltern gegangen. In Third Skin finden wir eine eigene Sprache für das, was uns erzählt wurde. Was machen die Geschichten, die wir hören, in unseren Körpern? Was hinterlassen sie? Dafür suchen wir eine eigene poetische, neue Sprache, eine künstlerische Form, und dadurch entstehen weitere Leerstellen.
Wie versteht ihr den Titel Third Skin (dt. Dritte Haut) und wie bezieht sich der Titel auf das Stück?
Ana: Zunächst einmal befasst sich das Stück mit den Erlebnissen dreier Generationen. Den Titel verstehen wir als Metapher, weil wir in der Arbeit an dem Stück in gewisser Weise eine Reise nach innen und nach außen, in die Vergangenheit und in die Zukunft unternommen haben. Die Haut steht sinnbildlich für den Prozess der Öffnung, an dem wir gearbeitet haben. Die Haut ist aus unterschiedlichen Schichten aufgebaut und wir reisen in die Hautschichten, in die Vergangenheit der eigenen Familien und des eigenen Körpers hinein. Als zweite Haut wird auch die Haut bezeichnet, die dort wächst, wo eine Wunde heilt. Das heißt, die dritte Haut ist eigentlich eine Art Fiktion. Sie ist das, was oberhalb der Narbenheilung wachsen kann. In Bezug auf die Haut geht es auch um die Figur auf der Bühne, die sich als mythologisches Wesen zwischen Mensch und Tier entwickelt.
Isabel: Die Haut hat uns im Prozess auch insofern begleitet, dass sie zur Trägerin von Wunden und Narben geworden ist. Sie ist damit auch zur Trägerin von Zeit geworden. Die Haut bietet die Möglichkeit, Erinnerungen nicht vergessen werden zu lassen und Erinnerung zu transformieren.
Das Stück Third Skin habt ihr gemeinsam mit eurem Team in Resonanz zum Recherchematerial erarbeitet. Wie würdet ihr diesen künstlerischen Prozess beschreiben? Was hat euch dabei interessiert?
Ana: Wir hatten das Glück, dass wir durch die Rechercheförderung des Fonds Darstellende Künste über einen Zeitraum von einem Jahr arbeiten konnten. Dabei entstand ein Archiv aus Interviews, Bildern, Erinnerungen und Emotionen; wir nennen es das Archiv der Öffnung. Parallel dazu arbeitete ich mit den einzelnen Gewerken an Klängen, Bewegungen, Text und Objekten. Daraus wuchs ein weiteres Archiv, das wir das Archiv der Resonanz nennen.
Dafür habe ich mich mit den Musiker*innen getroffen und mit Isabel für die Textarbeit und die Dramaturgie. Ich habe am choreografischen Material gearbeitet, am Kostüm, an den Objekten. Ich bin mit den jeweiligen Künstler*innen aus meinem Team und dem Archiven in eine Begegnung gegangen. Wir haben gemeinsam beobachtet, was das Material mit uns macht. Welche Resonanz bringt es hervor? Welche künstlerische Form findet es? Es ging dabei – und das ist ganz wichtig – nicht darum, Erlebnisse zu illustrieren, sondern darum, herauszufinden wie wir in Resonanz gehen und uns gleichzeitig vom Material lösen können. Was bleibt dann zurück? Welche Verbindung? Dieser Prozess der Rückkopplung war sehr fruchtbar, vor allem, weil es dafür viel Zeit gab. Wir konnten dem Material immer wieder neu begegnen. Mit den Musiker*innen ging es beispielsweise darum, Klänge und Rhythmen zu finden. Welche Rhythmen attackieren einen Körper? Welche Rhythmen tragen ein Körper? Über ein Jahr hinweg war das eine kontinuierliche Praxis, an der wir arbeiteten, ohne an das Endprodukt – die Performance – zu denken.
Isabel: Dieser intensive Arbeitsprozess wäre nicht möglich gewesen in der üblichen Projektlogik von sechs Proben-Wochen. Wir haben an dem Projekt insgesamt anderthalb Jahre gearbeitet. Als freischaffende Dramaturgin machte ich zum ersten Mal die Erfahrung, in einer solchen Tiefe in einem Prozess involviert und beteiligt zu sein. Anschließend an diese Arbeitserfahrung ist für mich ein Zurück in die gewohnten Zeitdynamiken von Projekten eigentlich nicht mehr vorstellbar. Innerhalb eines so langen Zeitraums wird so viel möglich. Mir ist es wichtig, das zu erwähnen, auch aus kulturpolitischen Gründen, um das Verständnis von künstlerischen Prozessen zu schärfen.
In dieser Arbeit gab es einen sehr spannenden Moment für mich persönlich. Wir befanden uns sehr lange in einer Arbeitsphase mit den Archiven und sind dann in einen konkreten Probenprozess für die Performance gegangen. Da habe ich auf körperlicher Ebene bemerkt, wie sich mein Verhältnis zum dokumentarischen Material veränderte: aus den Stimmen, aus den Begegnungen wurde eine poetische Fiktion. Das war ein sehr sensibler Kippmoment, der viel Achtsamkeit und Fürsorge brauchte. Die Frage war, wie schaffen wir es, etwas anderes aus dem dokumentarischen Material zu entwickeln und gleichzeitig den Begegnungen, die wir hatten, gerecht zu bleiben? Das war für mich eine große Lernerfahrung. Im Verlauf der Arbeit hat uns das gesamte Material der beiden Archive immer wieder als Bezugspunkt gedient. Wir sind häufig dahin zurückgekehrt, um einen Dialog zwischen dem was auf den Proben entsteht und den beiden Archiven zu ermöglichen.
Ana: Manche Proben haben wir damit begonnen, Ausschnitte aus Interviews vorzuspielen. Wir haben damit die Stimmen, die Toten, in dem Raum geholt. Diese erlebten Vergangenheiten und persönlichen Geschichten haben unseren kreativen Schaffensprozess sehr geprägt und den Probenprozess konstant begleitet.
Ihr bringt in der Arbeit unterschiedliche künstlerische Praktiken zusammen und erzeugt dadurch einen Raum, den ihr als Hybrid zwischen Installation und Bühne beschreibt. Während der Aufführung setzt du dich in eine kontinuierliche Beziehung zu diesem Raum, Ana. Wie würdet ihr diese Relation beschreiben, was macht sie aus?
Ana: Ich bin mit Tanz und bildender Kunst groß geworden und habe jahrelang auf der einen Seite als Tänzerin aber auch visuell als Artdirektorin und Künstlerin gearbeitet. Meine Form des Ausdrucks besteht grundsätzlich aus unterschiedlichen und multidisziplinären Praktiken. Für mich existiert keine Trennung zwischen den künstlerischen Mitteln, mit denen ich arbeite. Zu verstehen, dass es in meiner künstlerischen Sprache keine Trennung gibt zwischen Körper, Raum, Objekten, Klang und Installationen, sondern das diese Elemente alle Teil meiner erweiterten choreografischen Praxis sind, hat einige Jahre gebraucht. Mich interessiert wie sich innerhalb einer Performance die Bedeutungen der einzelnen Elemente durch dynamische Relationen stets verändern und transformieren. Welche Spannungsverhältnisse liegen zwischen den Elementen, welchen Dialog führen sie mit einander? Wie verändert die Transformation eines Elements den Raum?
Isabel: Ich würde gerne nochmal auf die Skulpturen eingehen und auf den Bühnenraum. Wir haben den Raum sehr präzise arrangiert und gestaltet, damit das Erleben von Resonanz eintreten kann. Eine Arbeitsweise die typisch ist für Ana: Das Aufeinandertreffen von kalten, grafischen Räumen auf emotionale, energetische und vulnerable Körper. In diesen Räumen haben alle Objekte und wie sie sich zueinander verhalten einen Grund.
Es gab dann einen Moment, ungefähr drei Wochen vor der Premiere, in dem Alberto Cortés, ein Freund und Kollege von Ana aus Spanien, als Outside-Eye auf die Probe kam. Er schaute sich einen der ersten Durchläufe an und sagte anschließend, dass der Raum überhandnehme, den Körper einschränke und so stark bedinge und bestimmten würde, dass der Raum auf faschistische Weise funktionieren würde. Für uns war das eine Erinnerung, die Rolle des Körpers im Raum nochmal mehr zu stärken. Wir haben uns dazu entschieden, dass der Raum der Gleiche bleibt, aber der Körper sich dazu ermächtigt verhält. Es gibt in Third Skin eine große Präzision in der räumlichen Setzung und gleichzeitig spielt sich ein Körper frei vom Raum, eignet ihn sich an – es braucht dieses Spannungsverhältnis.
Ana, du hast einen praktischen Research und Performance Master absolviert, der sich auf körperbasierte Praktiken in der zeitgenössischen Kunst konzentriert. Zusätzlich tanzt du seit deiner Kindheit Flamenco und führst seit Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit der Flamenco Kultur. Welche Rolle spielt der Flamenco in Third Skin?
Ana: Ich bin mit Flamenco groß geworden und beschäftige mich intensiv mit der Frage danach, wie ich das Körperwissen und das Wissen um musikalische Komposition, Rhythmus und den Umgang mit Energien und Emotionen, das aus dem Flamenco kommt, in andere Disziplinen und in andere Räume bringen sowie neue Formen dafür finden kann. Um mich mit dieser künstlerischen Forschung zu befassen, studierte ich den Masterstudiengang SODA Solo/Dance/Authorship am HZT in Berlin. Ich sehe die Kunst, die ich mache, nicht als zeitgenössischen Flamenco; aus meiner Auseinandersetzung entsteht eine eigene Form. Der Flamenco existiert überall in meiner Kunst. Beispielsweise basiert die gesamte Musik immer wieder auf Rhythmen, die aus dem Flamenco kommen, und die eine ganz bestimmte Bedeutung haben. Die einen sind dem Tod gewidmet (Seguiriya), in anderen geht es darum, sich über sich selber lustig zu machen und das Leben zu feiern (Bulerías), andere beschäftigen sich mit Einsamkeit (Soleá). Ich arbeite mit diesen Rhythmen und musikalischen Harmonien, aber ich bringe sie in eine andere musikalische Form, beispielsweise in elektronische Musik. Auch die Kommunikationsform zwischen den Musiker*innen und mir als Performerin im Raum ist sehr durch den Flamenco geprägt. Es geht darum, Wege zu finden, in denen der Dialog zwischen Livemusik und Körper extrem fühlbar wird. Wie wird die Musik als treibende Kraft genutzt? Wann unterstützt sie den Körper auf der Bühne, wann attackiert sie den Körper? Wie kann das Publikum mitgenommen werden auf eine Reise? Auch im Umgang mit dem choreografischen Material gibt es eine Nähe zum Flamenco bezüglich der Form und dem Umgang mit Energie und Emotionen. Vom Flamenco wird auch häufig als eine Kunstform gesprochen, die etwas Animalisches in uns zulässt. In Third Skin sucht der Körper auf der Bühne die Metamorphose und wird zur Chimäre, in der auch etwas Animalisches mitschwingt. Auf der anderen Seite gibt es im Flamenco auch die Offenheit für eine Verletzlichkeit oder dafür, einen Schmerz zu zeigen und zu teilen in einem kollektiven Raum. Ich frage mich oft, was es für den Umgang mit Emotionen bedeutet, in einem eher kalten, cleanen, elektronischen, zeitgenössischen Raum zu performen, der für mich für unsere Gesellschaft steht. Wie kann ein Körper diesen Raum erobern und gleichzeitig Verletzlichkeit zulassen und Wunden zeigen?
Ihr führt in dem Stück eine Auseinandersetzung mit den Kriegs-, Faschismus und Widerstandserlebnissen dreier Generationen und blickt dabei in die Vergangenheit. Während ihr an dem Stück gearbeitet habt, hat sich die Lage in der Welt extrem verändert. Im gesamten 21. Jahrhundert sind noch nie so viele Menschen durch Kriege gestorben wie im Jahr 2022. Faschismus greift überall auf der Welt um sich. Wie hat sich diese Aktualisierung von Krieg und Faschismus in der Welt auf die Arbeit ausgewirkt?
Isabel: Die Frage berührt grundsätzliche Gedanken zu künstlerischer Praxis und Arbeitsprozessen dieser Art. Zum einen haben sich die Ereignisse in der Welt ausgewirkt auf unsere inhaltliche Auseinandersetzung und zum anderen wirken sie sich auf die Rezeption der Arbeit aus. Als wir vor anderthalb Jahren mit dem Prozess starteten, waren die Umfragewerte der AfD relativ gering. Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, wäre es die zweitstärkste Kraft mit 21 Prozent. Das aktuelle Wiedererstarken rechter Kräfte beeinflusst unseren künstlerischen Prozess, weil dieser auch in realen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen stattfindet. Konkret bedeutet das, dass sich für uns die Frage nochmal neu gestellt hat wie wir uns mit Erinnerung und Erinnerungskultur beschäftigen wollen und wie wir an bestehende (Un-)Möglichkeiten des Erinnerns anknüpfen können.
Im Kontakt mit dem tagespolitischen Geschehen, ist es wichtig festzustellen, dass unsere künstlerische Arbeit nicht auf alles reagieren kann. Das wurde uns auch nochmal im Moment der Aufführung sehr klar, denn da wird die Arbeit freigegeben für die Zuschauer*innen, die aus den verschiedensten Kontexten kommen, verschiedene gelebte Erfahrungen und Seherfahrungen mitbringen. In dem Moment, in dem etwas öffentlich wird, geht das Publikum in einen offenen Dialog mit der Arbeit.
Ana: Es gab einen Moment, in dem ich nachts aufgewacht bin und im Kontext unserer Recherche und den aktuellen politischen Entwicklungen dachte: Metaphern und Poesie sind wichtig für Third Skin, aber es muss einen Moment geben, in dem wir aktuelle Ereignisse explizit ansprechen. So ist dann der Prolog der Performance entstanden:
“We created this work in response to the recurrent rise of right-wing movements in Spain, Germany, and elsewhere. We created this work because this political reality confronted us not only with society today, but also with our past. And I had many questions about my family’s experiences during and after the fascist system in Spain and Germany.”*
Damit sagen wir, dass allem, was danach kommt – also der poetischen und metaphorischen Arbeit – ganz konkrete Auseinandersetzungen zu Grunde liegen und, dass Third Skin in Resonanz zu dieser Auseinandersetzung und diesen politischen Ereignissen entstand.
Welche Erfahrung wünscht ihr euch für das Publikum in der Begegnung mit Third Skin?
Ana: Wir wünschen uns, dass sich die Besucher*innen mit Third Skin auf eine Reise begeben können, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit der Gegenwart und vielleicht auch der Zukunft ermöglicht. Ich möchte die Frage gerne mit dem Zitat von einem Zuschauer, dem ehemaligen Gewerkschafter und Politgenossen meiner Mutter, Uwe Damm, schließen: „Liebe Ana, dein Tanz hat mich mitgerissen, direkt und unmittelbar. Und weißt du was? Deine Bewegungen habe ich ausgeführt, wenn ich den großen Nordseewellen ihre Kraft nehmen wollte. So hast du diesen lauten bedrängenden Tönen ihre Gewalt genommen. Was hast du mir gesagt? Wir können ungebrochen den Unterdrückern widerstehen. Herzlichen Dank dafür! Dein Uwe“
* Übersetzung der Redaktion:
"Wir haben dieses Werk als Reaktion auf das wiederholte Aufkommen rechter Bewegungen in Spanien, Deutschland und anderswo geschaffen. Wir haben dieses Werk geschaffen, weil diese politische Realität uns nicht nur mit der heutigen Gesellschaft, sondern auch mit unserer Vergangenheit konfrontiert hat. Und ich hatte viele Fragen zu den Erfahrungen meiner Familie während und nach dem faschistischen System in Spanien und Deutschland."